Klonale Hämatopoese Risikoscore

Die molekulargenetische Detektion von klonaler Hämatopoese mittels Sequenzierung erlaubt es uns, die Frühphase der Entstehung myeloischer Neoplasien immer besser zu verstehen. Die Prävalenz klonaler Hämatopoese ist stark altersabhängig und liegt bei 10 – 20% der über 60-jährigen Bevölkerung, sodass wir in der Abklärung von Blutbildveränderungen immer häufiger mit dieser Frage konfrontiert werden. Die WHO-Klassifikation 2022 unterscheidet klonale Hämatopoese von unbestimmtem Potenzial (clonal hematopoiesis of indeterminate potential, CHIP) und klonale Zytopenie unbestimmter Signifikanz (CCUS) als myeloische Vorläuferläsionen. Das Progressionsrisiko von klonaler Hämatopoese zum Vollbild einer myeloischen Neoplasie hängt von der Anzahl und Art der zugrundeliegenden Mutationen sowie der Klongröße ab. Darüber hinaus ist vor allem das Vorhandensein von unerklärten Blutbildveränderungen, insbesondere einer unerklärten Zytopenie (also die Diagnose von CCUS anstelle von CHIP) der wesentliche Risikofaktor für den hämatologischen Progress. Für die exakte Vorhersage des individuellen Risikos waren aber bislang keine allgemein akzeptierten prognostischen Modelle verfügbar.

In einer kürzlich publizierten Studie (Weeks LD et al., NEJM Evid 2023;2(5)) wurde das Progressionsrisiko klonaler Hämatopoese in einer großen Kohorte von 438.890 ProbandInnen der U.K. Biobank untersucht und ein Clonal Hematopoiesis Risk Score (CHRS) etabliert. Als prognostisch ungünstige Variablen fließen definierte Hochrisiko-Mutationen (SRSF2, SF3B1, ZRSR2, IDH1, IDH2, FLT3, RUNX1, JAK2 und TP53), die Detektion mehrerer Mutationen, eine Klongröße von zumindest 20% Varianter Allel Frequenz (VAF), eine Erythrozytenverteilungsbreite (RDW, red cell distribution width) von ≥15%, eine Makrozytose definiert als mittleres Erythrozytenvolumen (MCV) von ≥100 fl, das Vorhandensein einer Zytopenie (CCUS vs. CHIP) und ein Alter ≥65 Jahre ein. Das alleinige Vorliegen einer DNMT3A Mutation ist hingegen ein prognostisch günstiger Faktor im CHRS. Aus der gewichteten Summe dieser Faktoren ergibt sich ein CHRS Score, auf dessen Basis Personen mit klonaler Hämatopoese in die Risikokategorien Niedrig (Score ≤9,5), Intermediär (Score 10-12) und Hoch (Score ≥12,5) eingeteilt werden. Für Personen in der niedrigsten Risikokategorie (ca. 90% aller Personen mit klonaler Hämatopoese) lag das 10-Jahres Risiko für Entwicklung einer hämatologischen Neoplasie bei <1% und war somit gegenüber Personen ohne klonale Hämatopoese nur unwesentlich erhöht. Im Gegensatz dazu lagen die 10-Jahresprogressionsraten in der intermediären (ca. 10% aller Personen mit klonaler Hämatopoese) und hohen Risikokategorie (ca. 1% aller Personen mit klonaler Hämatopoese) mit 8% bzw. 52% in einem klinisch relevanten Bereich, was sich auch im Gesamtüberleben entsprechend wiederspiegelte.

Der CHRS Risikoscore für klonale Hämatopoese erlaubt eine verbesserte Vorhersage des Progressionsrisikos bei Personen mit CHIP und CCUS auf Basis von einfachen Blutbildvariablen und einer molekulargenetischen NGS Untersuchung eines myeloischen Genpanels. Während die entsprechenden Analysen grundsätzlich im peripheren Blut durchgeführt werden können, ist bei der Kombination einer unklaren Zytopenie und der Detektion einer somatischen Mutation weiterhin eine Knochenmarkbiopsie indiziert, um das Vorliegen einer bereits manifesten myelodysplastischen Neoplasie (MDS) oder einer sonstigen hämatologischen Neoplasie abzuklären.

Tabelle: CHRS-Werte (Weeks et al. 2023).

Abbildung: Kumulative Kurven für die Inzidenz von MN je nach CHRS-Risikokategorie (Weeks et al. 2023).

Referenzen

Weeks LD et al. Prediction of risk for myeloid malignancy in clonal hematopoiesis. NEJM Evid 2023;2(5).

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PD Dr. med. Gregor Hörmann, PhD

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