Der Einsatz Künstlicher Intelligenz am MLL Münchner Leukämielabor

Ob Suchmaschine oder digitaler Assistent, Künstliche Intelligenz (KI) gehört längst zu unserem Alltag. Auch in der bildbasierten Diagnostik schreibt KI Erfolgsgeschichten. So zeigen erste Studien beispielsweise, dass eine mittels KI vorgenommene Klassifizierung der ärztlichen Befundung schon jetzt ebenbürtig sein kann*. Ersetzen wird KI das ärztliche Arbeiten jedoch nicht - aber wesentlich unterstützen. Wie das im konkreten Fall aussehen kann und wie das MLL das Potential von KI nutzt, um die hämatologische Diagnostik voranzubringen, zeigen Anwendungsbeispiele aus den MLL Fachbereichen.

Eine KI muss zunächst lernen, charakteristische Merkmale in einem Datensatz zu identifizieren. In einer Trainingsphase durchläuft eine KI iterative Zyklen von Training und Validierung, bis sie schließlich autonom und präzise die relevanten Charakteristika wiedererkennen und eine Klassifizierung vornehmen kann. Auch für eine KI gilt dabei: Übung macht den Meister – entsprechend groß muss der Trainingsdatensatz sein.

Zytomorphologie

Das MLL arbeitet im Bereich der Zytomorphologie daran, eine Datenbank zu erstellen, die zunächst circa eine halbe Million annotierter Einzelzellbilder von Zellen des peripheren Blutes umfassen wird. Anhand dieser wird die KI lernen, ein Differentialblutbild auf Basis von Blutausstrichen vorbereitend für die MTA zu erstellen. Im nächsten Schritt ist die automatisierte Analyse von Knochenmark geplant.

Chromosomenanalyse

Hier wird das MLL schon seit Sommer 2019 von einer KI unterstützt. In Metaphasen-Aufnahmen erkennt die KI die Chromosomen, isoliert diese und ordnet sie im Karyogramm in der richtigen Reihenfolge und Orientierung an. Jedes so erstellte Karyogramm wird sorgfältig überprüft und etwaige Fehler werden manuell nachgebessert. Durch KI-Unterstützung ergibt sich ein großer Zeitgewinn, den die Mitarbeiter für die Interpretation der Daten und die Charakterisierung komplexer Aberrationen nutzen können. Gemeinsam mit dem Kooperationspartner MetaSystems arbeitet das MLL daran, die KI für die klassische Chromosomenanalyse stetig weiter zu verbessern.

Immunphänotypisierung

Die hier eingesetzte KI, die gemeinsam mit der Arbeitsgruppe von Professor Krawitz (Universität Bonn) entwickelt wurde, zeigte sich bereits als Spezialist in der Klassifizierung reifer B-Zell-Neoplasien. Für eine Machbarkeitsstudie erfolgte die Auswertung durchflusszytometrischer Rohdaten der täglichen Routine über mehrere Monate hinweg parallel und unabhängig voneinander durch die MTA und Ärzte/Biologen sowie durch die KI. Statt eines Befundes trifft die KI bisher nur Vorhersagen zur Diagnose, gibt aber auch an, wie wahrscheinlich dann genau diese benannte Diagnose ist und welche die Zweitwahrscheinlichste wäre. Lag die Vorhersagewahrscheinlichkeit bei >95%, erkannte die KI in 99,7% der Fälle richtig, ob eine reife B-Zell-Neoplasie vorlag und nahm in 99,3% auch eine korrekte Klassenzuordnung vor (Kern et al. 2019 ASH Abstract 886). Ziel ist gegenwärtig die Erweiterung des diagnostischen Spektrums auf alle anderen Fragestellungen der Immunphänotypisierung inkl. MRD mittels KI.

Molekulargenetik

Ein Mutationsnachweis in einem untersuchten Genpanel kann für Diagnose, Risikoeinschätzung oder auch Therapiewahl bei hämatologischen Neoplasien von großer Bedeutung sein. Die Interpretation detektierter Genvarianten stellt jedoch in vielen Fällen eine Herausforderung dar – denn nicht jede Genvariante ist krankheitsrelevant. Das im MLL entwickelte KI Tool, der sog. „MLL Predictor“, unterstützt Ärzte und Wissenschaftler bei der Einschätzung, ob eine Genvariante pathogen, benigne oder ihre Bedeutung auf der Basis der aktuellen weltweiten Datenbanken noch unklar ist (VUS, variant of unknown significance).
Darüber hinaus zeigen Studien, dass nicht nur einzelne Mutationen, sondern auch Mutationsmuster charakteristisch für bestimmte Erkrankungen sein können. Gerade vor dem Hintergrund genomweiter Daten wird der Einsatz von KI deshalb sehr bald unersetzlich sein, um solche Mutationsmuster zu identifizieren. KI-basierte Klassifizierungsmodelle, die diese Muster einbeziehen, sind schon jetzt eine große Unterstützung für die Differentialdiagnostik (Meggendorfer et al. 2019 ASH Abstract 4663, Baer et al. 2019 ASH Abstract 2735).


Weitere Referenzen:

*Hu et al. JCNI 2019, Scheib et al. Radiology 2019, McKinney et al. Nature 2020

Die Autorin