Das PDF wurde in Ihrem Download Ordner gespeichert oder in einem neuen Tab Ihres Browsers geöffnet. Den Download-Ordner finden Sie auf Ihrem Laufwerk oder in der Browserleiste von Firefox und Safari rechts oben bei dem Pfeil-Icon.
Multiples Myelom: Definition und Merkmale
Das Plasmazellmyelom (nach WHO) oder auch multiples Myelom (MM) ist durch eine maligne Plasmazellvermehrung im Knochenmark charakterisiert und geht mit einer erhöhten Produktion monoklonaler Immunglobuline einher, welche meist im Serum als M-Gradient nachweisbar sind.
Die Diagnostik bei vermutetem oder gesichertem multiplem Myelom ist vielschichtig und umfasst neben der Zytomorphologie unbedingt auch die Histologie, bildgebende Verfahren sowie Untersuchungen aus dem Serum und Urin wie Immunfixation oder Immunelektrophorese und Bestimmung der Leichtketten der Immunoglobuline. Darüber hinaus haben die genetischen Methoden – derzeit in erster Linie die FISH-Analytik an vorher mittels Separation auf CD138 positive Plasmazellen angereicherter Zellfraktion – eine wichtige Bedeutung für die prognostische Einordnung. Die Immunphänotypisierung kann ebenfalls in vielen Fällen wertvolle Hinweise geben, da sie mit hoher Sensitivität aberrante Expressionsmuster auf den Plasmazellen, und damit Monoklonalität nachweisen kann. Molekulargenetische Untersuchungen gewinnen zunehmend an Bedeutung hinsichtlich zusätzlicher prognostischer Informationen (z.B. TP53 Mutation) oder dem Einsatz zielgerichteter Therapien (z.B. BRAF-Mutation)
Klassifikation des Multiplen Myeloms
Das multiple Myelom zählt laut WHO-Klassifikation 2017 innerhalb der reifen B-Zellneoplasien zur Gruppe der Plasmazellneoplasien.
MM WHO-Klassifikation 2017
(Swerdlow et al. 2017)
Reife B-Zell Neoplasie
- Plasmazellneoplasien
- Plasmazellmyelom (Multiples Myelom)
Abhängig von der Konzentration des M-Proteins im Serum und dem Anteil der Plasmazellen im Knochenmark werden die asymptomatischen Phasen „monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz“ (MGUS) und „smoldering multiple myeloma“ (SMM) unterschieden. Ein Übergang zum symptomatischen Myelom erfolgt bei Patienten mit MGUS mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 1% pro Jahr, während das Progressionsrisiko bei Patienten mit SMM in den ersten 5 Jahren 10% pro Jahr beträgt.
Risikoeinteilung nach International Staging System (ISS), Laktatdehydrogenase und FISH
Zur Identifizierung der Risikogruppe wird eine Kombination aus International Staging System (ISS; siehe Tabelle 1), Laktatdehydrogenase im Serum und Zytogenetik mittels FISH empfohlen (Moreau et al. 2017). Für die zytogenetische Diagnostik empfiehlt die International Myeloma Working Group mindestens die Durchführung von FISH-Analysen zur Detektion der 17p Deletion und der Translokation t(4;14). Eine für die Risikostratifizierung hilfreiche Erweiterung stellen Analysen zur Detektion von 1q Zugewinnen und 1p Deletionen sowie der t(14;16) und t(14;20) dar (Sonneveld et al. 2016).
Tabelle 1: International Staging System und Risikofaktoren (ESMO-Leitlinie: Moreau et al. 2017)
International Staging System (ISS) (P. Greipp et al. 2005) | |||||
---|---|---|---|---|---|
Stadium | Kriterien | ||||
I | Serum ß2M <3,5 mg/l und Serumalbumin ≥3,5 g/dl | ||||
II | Nicht Stadium I oder III | ||||
III | Serum ß2M ≥5,5 mg/l |
Hochrisiko | Standardrisiko | ||||
---|---|---|---|---|---|
LDH | > ULN | < ULN | |||
Zytogenetik nach Palumbo et al. 2015 | t(4;14), t(14;16), del(17p) | alle anderen | |||
Zytogenetik nach Sonneveld et al. 2016 | t(4;14), t(14;16), del(17p), | alle anderen, inklusive |
β2M = β2 Mikroglobulin, LDH = Laktatdehydrogenase, ULN = upper limit of normal
Bisherige Risikostratifizierungsmodelle berücksichtigen lediglich den Nachweis bestimmter Aberrationen, nicht aber deren Zusammenspiel. Ein kürzlich entwickelter gewichteter Index unter Integration sechs prognostisch relevanter Veränderungen ((t(4;14), del(17p), Trisomie 5, Trisomie 21, 1q Zugewinn, del(1p32)) erreichte eine höhere Vorhersage-Genauigkeit als der ISS (Perrot et al. 2019) und zeigt Verbesserungspotential der bisherigen Risikoeinteilungen auf.
Darüber hinaus wurde gezeigt, dass Genexpressionsanalysen für Patienten mit multiplem Myelom von hoher prognostischer Relevanz sind und die Kombination von Genexpressionsprofilen mit dem ISS einen bedeutenden prognostischen Faktor darstellt (Shaughnessy et al. 2007, Kuiper et al. 2015). In absehbarer Zeit werden auch molekulare Marker zur Routine gehören, BRAF-Mutationen haben schon jetzt therapeutische Relevanz.
Fakten
- 25%25%
der MM-Patienten haben keine Symptome bei Diagnosestellung
(Onkopedia Leitlinie Multiples Myelom)
Multiples Myelom: Diagnostik
Wichtig zur Differenzierung von multiplem Myelom, MGUS und SMM
Die zytomorphologische Untersuchung von Knochenmarkaspiraten oder -biopsien auf Plasmazell-Infiltration wird standardmäßig zur Beurteilung von Anzahl und Charakteristik der Plasmazellen im Knochenmark durchgeführt. Dies dient in erster Linie zur Abgrenzung des multiplen Myeloms vom MGUS und SMM (siehe Tabelle 2).
Tabelle 2: Diagnostische Kriterien zur Abgrenzung von MM, MGUS und SMM
Charakteristik | MGUS | SMM | MM | ||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
Anteil Plasmazellen im KM | < 10% | ≥ 10% | ≥ 10% | ||||
Endorganschäden* | keine | keine | vorhanden |
*CRAB-Kriterien: Hyperkalzämie, Niereninsuffizienz, Anämie, Knochenläsionen
Die Bestimmung des Plasmazellanteils hat nicht nur diagnostische, sondern auch therapeutische Relevanz. So ist ein Anteil klonaler Plasmazellen im Knochenmark von ≥ 60% eines von drei Kriterien, die über die Therapieindikation auch in Abwesenheit von Endorganschäden entscheiden (SLiM-Kriterien der International Myeloma Working Group (Rajkumar et al. 2014)).
Bei Nachweis eines Paraproteins oder bei klinischem Verdacht auf ein multiples Myelom kann die Immunphänotypisierung in Ergänzung zu anderen Methoden (Immunhistologie) hinzugezogen werden. Auch für die Verlaufsdiagnostik nach Therapie des multiplen Myeloms ist die Immunphänotypisierung hilfreich und zur Bestimmung der messbaren Resterkrankung (MRD) zunehmend etabliert. Sie wird als Studienendpunkt diskutiert oder bereits herangezogen (Mateos et al. 2018).
CD45, CD19, CD56 und CD138 sind relevante Oberflächenmarker beim MM
Maligne Plasmazellen zeigen im Vergleich zu gesunden, polyklonalen Plasmazellen oftmals eine verminderte oder fehlende Expression des Pan-Leukozytenantigens CD45 sowie des B-Zellmarkers CD19. Darüber hinaus fällt in vielen Fällen eine aberrante Expression des Antigens CD56 auf, welches normalerweise auf Plasmazellen nicht relevant exprimiert wird.
Abgrenzung zu MGUS und Zuordnung der Plasmazellpopulation
Auf zytoplasmatischer Ebene ist der Nachweis einer Leichtkettenrestriktion möglich. Somit trägt die Immunphänotypisierung zur Abgrenzung einer benignen Plasmazellvermehrung von einer Plasmazelldyskrasie (MM oder MGUS) bei. An zytomorphologisch eingeschränkt beurteilbaren Knochenmarkaspiraten oder bei multiplem Myelom mit extrem atypischen Plasmazellen in der Zytomorphologie gelingt anhand der Immunphänotypisierung eine eindeutige Zuordnung der Plasmazellpopulation. Ferner kann die Immunphänotypisierung bei Paraproteinämien unklarer Genese zur Abgrenzung von anderen B-Zell-Lymphomen beitragen.
Aberrante Plasmazellen nur schwer detektierbar mittels Chromosomenanalyse
In der klassischen Chromosomenanalyse werden die aberranten Plasmazellen aufgrund der geringen Proliferationsaktivität in vitro meist nicht erfasst. Daher hat die FISH-Analyse an Interphase-Kernen beim multiplen Myelom einen zentralen Stellenwert. Nach Anreicherung durch die magnet-aktivierte Zellsortierung (MACS) für CD138+-Plasmazellen wird ein Reinheitsgrad an Plasmazellen sogar bei MGUS von zumeist > 80% erreicht, auch wenn der Infiltrationsgrad im nativen Knochenmark sehr viel niedriger ist. Durch die Anreicherung von CD138+-Zellen lassen sich mittels FISH dann in 90% aller multiplen Myelome chromosomale Veränderungen nachweisen mit Beweis der Monoklonalität, aber viel wichtiger: mit großer prognostischer Relevanz.
Differenzierung hyperdiploides und nicht-hyperdiploides multiples Myelom
Die FISH-Analyse besitzt beim multiplen Myelom einen besonderen Stellenwert. Mittels FISH wurden bei 88-97% aller Fälle chromosomale Veränderungen nachgewiesen. Zytogenetisch lässt sich die hyperdiploide-Gruppe von der nicht-hyperdiploiden-Gruppe unterscheiden (Sawyer et al. 2011):
Zytogenetische Einteilung des multiplen Myeloms (International Myeloma Working Group, IMWG):
- Hyperdiploides MM
• 50-60% der Patienten
• multiple Trisomien, v.a. der Chromosomen 3, 5, 7, 9, 11, 15, 19 und 21
• Assoziation mit einer günstigeren Prognose
- Nicht-hyperdiploides MM
• ca. 30% der Patienten
• hypodiploide/pseudodiploide Chromosomensätze
• hohe Inzidenz von Translokationen unter Involvierung des IGH-Locus
• Monosomien, v.a. der Chromosomen 13, 14, 16 und 22
• heterogene Verläufe, Prognose abhängig vom spezifischen IGH-Rearrangement (vgl. Tabelle 3) MM mit multiplen Trisomien und einer Translokation unter Involvierung des IGH-Locus
• 9-15% der Patienten
Rearrangements des IGH-Locus mit den häufigsten Translokationspartnern CCND1 (11q13), FGFR3 (4p16), MAF (16q23), MAFB (20q12) und CCND3 (6p21) beeinflussen die Expression eines Cyclin D-Gens und führen so zu einer Fehlregulation des Zellzyklus (Bergsagel et al. 2005).
Weitere strukturelle Aberrationen, die bei Myelomen gehäuft auftreten, sind Zugewinne von 1q und 11q, Deletionen von 1p, 6q, 8p, 13q, 14q, 16q und 17p sowie MYC-Rearrangements.
Mutationen betreffen häufig MEK/ERK- und NFkB-Signalweg
Über 50% der Patienten mit multiplem Myelom weisen eine Mutation in einer Komponente des MEK/ERK-Signalwegs auf. So finden sich in 19 - 24% bzw. 21 - 27% der Patienten eine NRAS- bzw. KRAS-Mutation und in 4 - 7% eine BRAF-Mutation, wobei sich diese Mutationen nahezu gegenseitig ausschließen und nur in etwa 2% der Patienten gemeinsam auftreten (Chapman et al 2011, Walker et al. 2015).
Ferner zeigen etwa 17% der Patienten den NFKB-Signalweg betreffende Mutationen (z.B. in den Genen TRAF3 und CYLD). Mutationen im TP53-Gen, die bei 3 - 8% der Patienten auftreten, sind mit der del(17p) und einer ungünstigen Prognose assoziiert. Letzteres gilt einer Studie zufolge auch für Mutationen in CCND1, ATM und ATR, während IRF4- und EGR1-Mutationen mit einem verlängerten Überleben korrelieren (Walker et al. 2015). Außerdem finden sich rekurrente Mutationen und Deletionen beispielsweise in weiteren Tumorsuppressorgenen, wie FAM46C, DIS3 und RB1, sowie in den für Rezeptortyrosinkinasen kodierenden Genen PDGFRA und JAK3 (Chapman et al. 2011, Mulligan et al. 2014, Bolli et al. 2014, Walker et al. 2015). Bei Patienten mit einer t(11;14) wurde ein signifikantes Auftreten von CCND1-Mutationen beschrieben, während Patienten mit einem hyperdiploiden Karyotyp gehäuft Mutationen im EGR1-Gen aufweisen (Walker et al. 2015).
Die molekulargenetische Diagnostik unterstützt die prognostische Einschätzung durch die genetische Charakterisierung des multiplen Myeloms und die Bestimmung von klonaler Heterogenität und minimaler Resterkrankung (Lionetti & Neri 2017). Mit der fortschreitenden Entwicklung zielgerichteter Agenzien ist in Zukunft auch zunehmend ein therapeutischer Nutzen zu erwarten (Pawlyn & Davies 2019).
Prognose bei Multiplem Myelom
Multiples Myelom mit Hyperdiploidie stellt den prognostisch günstigsten Subtyp dar
Die günstige Prognose für Patienten mit multiplem Myelom mit einem hyperdiploiden Chromosomensatz wurde aktuell bestätigt. So wurde für diesen MM-Subtyp im Vergleich zu allen anderen zytogenetischen Subgruppen ein deutlicher Vorteil in der Überlebensanalyse gezeigt. Selbst für Patienten mit der Translokation t(11;14)(q13;q32), welche ebenfalls der Standardrisiko-Gruppe zugeordnet wird, zeigte sich eine ungünstigere Prognose als für Patienten mit Hyperdiploidie (Lakshman et al. 2018, Shah et al. 2018).
IGH-Rearrangements haben unterschiedliche prognostische Bedeutung
Die häufigsten Translokationspartner des IGH-Locus bei multiplen Myelomen sind CCND1 (11q13), FGFR3 (4p16), MAF (16q23), MAFB (20q12) und CCND3 (6p21). Tabelle 3 zeigt die prognostische Bedeutung der verschiedenen IGH-Rearrangements.
Tabelle 3: Prognose und Inzidenz häufiger IGH-Rearrangements
Translokation | Prognose | Inzidenz | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
t(4;14)(p16;q32) | ungünstig | 11-15% | ||||||
t(14;16)(q32;q23) | ungünstig | 3-6% | ||||||
t(14;20)(q32;q12) | ungünstig | 1-2% | ||||||
t(11;14)(q13;q32) | günstig | 14-20% | ||||||
t(6;14)(p21;q32) | günstig | <1-4% |
Nach (Bacher et al. 2010, Sawyer et al. 2011, Morgan et al. 2012, Sonneveld et al. 2016).
Prognose häufiger struktureller Aberrationen: Zugewinne, Deletionen und MYC-Rearrangements
Die prognostische Bedeutung der häufigsten strukturellen Aberrationen ist in Tabelle 4 zusammengefasst.
Zugewinne
1q Zugewinne gehen mit einer Krankheitsprogression und einer kürzeren Überlebenszeit einher (Avet-Loiseau et al. 2012, Shah et al. 2018, Perrot et al. 2019). In der Literatur wird kontrovers diskutiert, ob eine 1q Amplifikation die Prognose zusätzlich verschlechtert (Walker et al. 2015, Shah et al. 2018, Walker et al. 2019). Die Definition, ab welcher Kopienzahl eine Amplifikation vorliegt, unterscheidet sich zwischen den Quellen – was die Vergleichbarkeit der Studien zusätzlich einschränkt. Da auch Hochdosis-Therapieprotokolle und/oder Arzneimittel neuer Substanzklassen die Prognose bei 1q Zugewinnen nicht verbessern, sollte bei diesen Patienten ein Therapieansatz wie für Patienten mit einer anderen Hochrisiko-Aberration in Erwägung gezogen werden (Kumar & Rajkumar 2018).
Deletionen
1p Deletionen sind mit einer ungünstigen Prognose assoziiert, wobei die Prognose bei einer Deletion der Region 1p32 ungünstiger ist als bei einer Deletion der Region 1p22 (Hebraud et al. 2013 und 2015, Shah et al. 2018, Perrot et al. 2019).
Die publizierte Assoziation von mittels FISH detektierten 13q Deletionen mit einer ungünstigen Prognose basiert auf dem gehäuften Vorkommen zusammen mit den prognostisch ungünstigen Aberrationen t(4;14) und del(17p) (Fonseca et al. 2009, Neben et al. 2010 und 2012). Hingegen gehen mithilfe der konventionellen Chromosomenanalyse nachgewiesene del(13q) mit einer ungünstigeren Prognose einher (Chiecchio et al. 2006).
17p Deletionen sind mit einer ungünstigen Prognose assoziiert (An et al. 2015, Shah et al. 2018, Perrot et al. 2019), wobei diskutiert wird, ab welcher Klongröße der negative Einfluss zum Tragen kommt (An et al. 2015). 17p Deletionen können auch das TP53-Gen umfassen. Ergibt sich durch Deletion oder Mutation des zweiten Allels eine biallelische TP53 Inaktivierung, verschlechtert dies das Überleben zusätzlich (Weinhold et al. 2016, Walker et al. 2018 und 2019, Thakurta et al. 2019).
MYC-Rearrangements und Amplifikationen
Rearrangements und Amplifikationen des MYC-Gens treten in der Regel in einem späteren Stadium auf und gehen mit einer ungünstigen Prognose einher – so wird diese Aberration bei ca. 45% der Patienten mit fortgeschrittenem multiplem Myelom beobachtet (Morgan et al. 2012, Walker et al. 2014).
Tabelle 4: Prognose und Inzidenz verschiedener struktureller Aberrationen bei Mutiplem Myelom
Aberration | Prognose | Inzidenz | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1q Zugewinn | ungünstig | 36-49% | ||||||
1p Deletion | ungünstig | 30% | ||||||
13q Deletion | - | 45-58% | ||||||
17p Deletion | ungünstig | 7-13% | ||||||
MYC-Rearrangement | ungünstig | 5-15% | ||||||
6q Deletion | - | 33% | ||||||
8p Deletion | - | 23-25% | ||||||
11q Zugewinn | günstig | 24% | ||||||
12p Deletion | ungünstig | 15% | ||||||
16q Deletion | ungünstig | 20-35% |
Nach (Munshi et al. 2011, Avet-Loiseau et al. 2011, Avet-Loiseau et al. 2012, Morgan et al. 2012, Neben et al. 2012, Avet-Loiseau et al. 2013, An et al. 2015).
Prognostische Relevanz von Trisomien bei Hochrisiko-Aberrationen unklar
Ob das Vorliegen von Trisomien die Prognose von Patienten mit gleichzeitiger 17p Deletion, t(4;14), t(14;16) oder t(14;20) verbessert, wird kontrovers diskutiert. Die widersprüchlichen Resultate dürften unter anderem durch die unterschiedlichen in den Studien angewandten Therapieprotokolle bedingt sein (Kumar et al. 2012, Pawlyn et al. 2015). Zudem wurde für einzelne Trisomien ein divergenter prognostischer Effekt beschrieben. Während Trisomien der Chromosomen 3 und 5 positiven Einfluss auf das Überleben nehmen, führt die Trisomie 21 zu einer Verschlechterung der Prognose (Chretien et al. 2015, Perrot et al. 2019).
Kombiniertes Auftreten ungünstiger Aberrationen verschlechtert Prognose
Zu den prognostisch ungünstigen Aberrationen zählen nach Sonneveld et al. die Translokationen t(4;14), t(14;16), t(14;20), der 1q Zugewinn und die 17p Deletion (Sonneveld et al. 2016). Bei Auftreten der t(4;14) oder del(17p) verschlechtert sich die Prognose unabhängig vom ISS-Stadium (Avet-Loiseau et al. 2013).
Für die genannten Aberrationen wurde gezeigt, dass der negative Einfluss auf den Krankheitsverlauf bei alleinigem Vorkommen geringer ist, als wenn gleichzeitig mehrere dieser Aberrationen vorliegen (Boyd et al. 2012, Shah et al. 2018).
Shah et al. sprechen in diesem Kontext vom „double-hit“. Tabelle 5 zeigt das Überleben in Abhängigkeit von der Anzahl (0-2) prognostisch ungünstiger Aberrationen für MM-Patienten der Myeloma XI-Studie. Waren drei ungünstige Aberrationen nachweisbar, betrug das mediane Gesamtüberleben nur 19 Monate (Shah et al. 2018).
Tabelle 5: Überleben von Patienten mit multiplem Myelom in Abhängigkeit von der Anzahl prognostisch ungünstiger Aberrationen (t(4;14), t(14;16), t(14;20), 1q Zugewinn, del(17p)) in einer Kohorte der Myeloma XI-Studie (Shah et al. 2018)
Überlebensanalyse von 1036 molekular charakterisierten MM-Patienten der Myeloma XI-Studie | keine prognostisch ungünstige Aberration | 1 prognostisch ungünstige Aberration | 2 prognostisch ungünstige Aberrationen | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Medianes progressionsfreies Überleben | 31,1 Monate | 24,2 Monate | 17 Monate | ||||||
Medianes Gesamtüberleben nach 24 Monaten | 86,4% | 76,6% | 66,1% |
Das Auftreten von Subklonen bei Patienten mit Hochrisiko-Aberrationen verschlechtert die Prognose
Klonale Heterogenität ist charakteristisch für multiple Myelome und das Auftreten von Subklonen hat prognostische Relevanz. Das Gesamtüberleben verschlechtert sich zusätzlich, wenn neben einer Hochrisiko-Aberration (del(17p), 1q Zugewinn, t(4;14)) auch Subklone nachweisbar sind. Bei Patienten der Standardrisiko-Gruppe hat die Anwesenheit von Subklonen jedoch keinen prognostischen Einfluss (Merz et al. 2018).
Im Therapie- und Krankheitsverlauf sind MRD-Negativität und die Dauer des rezidivfreien Überlebens wichtige prognostische Faktoren
Die bislang genannten prognostischen Faktoren sind v.a. im Kontext eines neu diagnostizierten MM validiert, ihre prognostische Signifikanz bleibt größtenteils auch im Therapie- und Krankheitsverlauf erhalten (Pawlyn & Davies 2019). Hinzu kommen weitere Faktoren, wie die MRD-Negativität und die Dauer des rezidivfreien Überlebens.
Moderne Durchflusszytometrie und/oder Next-Generation Sequencing ermöglichen die Detektion einer residuellen Plasmazelle in 106 Knochenmarkzellen (Kumar et al. 2016, Munshi et al. 2017, Flores-Montero et al. 2017, Kumar & Rajkumar 2018). Bildgebende Verfahren können hinzugezogen werden. Die MRD-Negativität ist dabei assoziiert mit einem längeren Überleben (PFS und OS) (Munshi et al. 2017, Lahuerta et al. 2017). Trotz der prognostischen Bedeutung hat die MRD-Diagnostik bei dem multiplen Myelom bislang keine klinische Relevanz – die Verwendung des MRD-Nachweises zur Therapiesteuerung wird aber diskutiert (Kumar & Rajkumar 2018).
Bei Auftreten von Rezidiven ist die Dauer des Ansprechens auf die initiale Therapie, insbesondere nach autologer Stammzelltransplantation (ASZT), ein wichtiger prognostischer Faktor. Treten Rezidive früh auf (12-18 Monate nach ASZT) ist dies mit einer ungünstigen Prognose assoziiert – selbst wenn weitere Hochrisiko-Faktoren fehlen (Kumar & Rajkumar 2018).
Multiples Myelom (MM): Prognoseberechnung
Hier gelangen Sie zur Prognoseberechnung des ISS-Scores und des R-ISS-Scores.
Multiples Myelom: Therapie
Plasmazellmyelom: Therapieprotokolle mit Bortezomib verbessern Prognose bei t(4;14)-Patienten
Insgesamt haben neue therapeutische Entwicklungen die Prognose von Patienten mit multiplem Myelom immer wieder signifikant verbessert, allein durch die Einführung von Proteasominhibitoren und Immunmodulatoren konnte das mediane Überleben um 4,7 Jahre gesteigert werden (Fonseca et al. 2017).
Die aktuell für die Behandlung des multiplen Myeloms zugelassenen Therapeutika lassen sich sechs Substanzklassen zuordnen:
• Chemotherapeutika: Alkylantien, Antrazykline, Vincaalkaloide
• Proteasominhibitoren
• Immunmodulatoren
• HDAC Inhibitoren
• Monoklonale Antikörper
• Glucocorticoide
Eine Vielzahl möglicher (Kombinations-)Therapieregime stehen zur Behandlung zur Verfügung, daher muss – auch aufgrund des hohen Heterogenitätsgrades des multiplen Myeloms - die Therapie unter Berücksichtigung aktueller Leit- und Richtlinien individuell auf den Patienten zugeschnitten werden.
Therapieprotokolle mit Bortezomib verbessern Prognose bei t(4;14)-Patienten mit Plasmazellmyelom
Mit Bortezomib enthaltenden Therapieprotokollen konnte die sehr ungünstige Prognose für Patienten mit t(4;14) verbessert werden (Avet-Loiseau et al. 2010, Chng et al. 2014, Merz et al. 2018). Auch Patienten mit del(17p) profitierten von Bortezomib, wenn dieses vor und nach autologer Stammzelltransplantation eingesetzt wurde (Neben et al. 2012, Merz et al. 2018). Dieser Effekt war in der Studie von Merz et al. jedoch beschränkt auf Patienten ohne Subklone – unabhängig davon, ob die subklonalen Aberrationen der Hoch- oder Standardrisiko-Gruppe zugeordnet wurden.
Allerdings führte der Einsatz von Bortezomib bei autologer Stammzelltransplantation zu keiner prognostischen Verbesserung bei Patienten, die sowohl eine t(4;14) als auch eine del(17p) aufwiesen, was jedoch durch autologe Doppel-Stammzelltransplantation und Bortezomib enthaltende Therapieregime teilweise umgangen werden konnte (Cavo et al. 2013).
Patienten mit einer NRAS-Mutation, jedoch nicht Patienten mit einer KRAS-Mutation, sprechen schlechter auf Bortezomib an, wohingegen bei einer Therapie mit Dexamethason kein Einfluss der NRAS-Mutation auf das Ansprechen und die Zeit bis zur Progression nachgewiesen wurde (Mulligan et al. 2014).
BRAF V600E-Mutation: Prädiktor für gutes Therapieansprechen bei Multiplem Myelom in frühem Stadium
Der Nachweis einer BRAF V600E-Mutation ist beim multiplen Myelom im frühen Stadium mit einem guten Therapieansprechen auf Alkylanzien, Immunmodulatoren und Proteasominhibitoren assoziiert (Rustad et al. 2015). Nach der derzeitigen Studienlage führt dies jedoch nicht zu einer verbesserten Prognose (Verlängerung PFS oder OS). Inwieweit eine zielgerichtete Therapie mit dem BRAF-Inhibitor Vemurafenib zu einer Verbesserung der Prognose führt bleibt abzuwarten. Es besteht damit auf jeden Fall eine zielgerichtete Therapiemodalität.
Vorläufiger Stop von klinischen Studien zum Einsatz von Venetoclax bei Multiplem Myelom
Für t(11;14)-Patienten im Rezidiv wurden gute Ansprechraten mit dem BCL2-Inhibitor Venetoclax beobachtet (Kumar et al. 2016; Moreau et al. 2017; Touzeau et al. 2017; Gonsalves et al. 2018, Pawlyn & Davies 2019). Der Einschluss von Patienten in Studien zum Einsatz von Venetoclax bei rezidiviertem/refraktärem multiplem Myelom wurde allerdings vorerst durch die FDA gestoppt, da es bei einer Phase III Studie im Venetoclax-Arm im Vergleich zum Kontroll-Arm zu einer erhöhten Anzahl von Todesfällen gekommen war (HR = 2,03) (Pressemitteilung der FDA).
Multiples Myelom: Empfehlung
Bedingt durch Aspirationsartefakte, wie die Verdünnung durch peripheres Blut oder fokale Infiltration, kann in der zytomorphologischen und der durchflusszytometrischen Beurteilung von Knochenmarkaspiraten die tatsächliche Plasmazellinfiltration unterschätzt werden. Nach Empfehlungen des European Myeloma Networks (EMN) sollte daher eine zusätzliche Knochenmarkbiopsie durchgeführt werden (Caers et al. 2018). Ergeben sich bei der Bestimmung der Plasmazellinfiltration an Biopsat und Aspirat Diskrepanzen, sollte nach IMWG-Konsens der höhere der beiden Werte herangezogen werden (Rajkumar et al. 2014). Tabelle 6 gibt einen Überblick, welche Untersuchungsmethoden das EMN zu welchem Zeitpunkt empfiehlt (Auswahl nach Caers et al. 2018).
Tabelle 6: Überblick diagnostischer Empfehlungen des EMN zu unterschiedlichen Untersuchungszeitpunkten unter Berücksichtigung des Untersuchungsmaterials (nach Caers et al. 2018)
Knochenmark | Untersuchungszeitpunkt | |||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Methode | Erstdiagnose | (Therapie-)Ansprechen | Follow-up | Rezidiv | ||||||
Knochenmark-Zytologie und Biopsie | obligat | obligat
| nicht notwendig | obligat
| ||||||
Durchfluss-zytometrie | empfohlen | optional | nicht notwendig | optional | ||||||
Zytogenetik | obligat** | nicht notwendig | nicht notwendig | optional | ||||||
Peripheres Blut | Untersuchungszeitpunkt | |||||||||
Methode | Erstdiagnose | (Therapie-)Ansprechen | Follow-up | Rezidiv | ||||||
Blutbild und Blutausstrich | obligat | obligat | obligat | obligat | ||||||
NGS | optional | nicht notwendig | nicht notwendig | nicht notwendig | ||||||
*die Definition der kompletten Remission (CR, „complete response“) schließt ein zytomorphologisches Kriterium mit ein (Anteil von Plasmazellen im Knochenmarkaspirat < 5%) (Kumar et al. 2016) | ||||||||||
** In jedem Fall ist die t(4;14) und del(17p) zu untersuchen, zusätzlich empfohlen wird der Nachweis/Ausschluss folgender Aberrationen: t(14;16), 1q21 Zugewinn, del(1p32) |
Weitere Plasmazellneoplasien
MGUS und SMM: Unterschiedliche Symptomatik aber genetische Gemeinsamkeiten mit multiplem Myelom
Patienten mit monoklonaler Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) und „smoldering multiple myeloma“ (SMM) weisen nicht die klinischen Symptome der Patienten mit multiplem Myelom auf, bezüglich genetischer Veränderungen finden sich allerdings sehr viele Gemeinsamkeiten. Für verschiedene Chromosomenaberrationen wurde gezeigt, dass sie bereits in der asymptomatischen Vorstufe vorlagen, die Frequenz der Aberration aber mit dem Progress der Erkrankung zunahm (Lopez-Corral et al. 2012).
MGUS
Etwa 40% der Patienten mit MGUS zeigen einen hyperdiploiden Chromosomensatz. Rearrangements unter Involvierung des IGH-Locus sind bei ca. 30 - 40% der Patienten zu beobachten, wobei die t(11;14) (19 - 22%), t(4;14) (2 - 3%) und t(14;16) (1-4%) die häufigsten Translokationen darstellen (Chiecchio et al. 2009, Bacher et al. 2010, Lakshman et al. 2018). Für die Rearrangements t(14;16) und t(14;20), welche bei Patienten mit multiplem Myelom mit einer ungünstigen Prognose assoziiert sind, konnte bei MGUS Patienten keine prognostische Relevanz nachgewiesen werden (Boyd et al. 2012). Die Inzidenz von 13q Deletionen ist bei der MGUS geringer (20%) als beim multiplen Myelom (45 - 58%).
Die Progressionsrate bei MGUS beträgt ca. 1% pro Jahr, welche Faktoren eine Progression begünstigen ist dabei Gegenstand der aktuellen Forschung. Wie auch für das SMM beobachtet, sind beispielsweise die Aberrationen del(17p) und t(4;14) mit einem erhöhten Progressionsrisiko assoziiert (Merz et al. 2018, Lakshman et al. 2018). Auch ein erhöhter M-Proteinspiegel im Blut (M-Protein ≥ 1,5 g/dl) war in der Studie von Merz et al. (Leukemia 2018) ein Progressionsrisiko vermittelnder Faktor.
Prognoseberechnung
Hier gelangen Sie zur Prognoseberechnung des MGUS-Prognosis-Scores.
SMM
Für Patienten mit SMM wurden Risikogruppen hinsichtlich der Progression zum symptomatischen Myelom in Abhängigkeit von den häufigsten chromosomalen Veränderungen definiert. So wurde für die t(4;14) und del(17p) gezeigt, dass sie mit einem erhöhten Progressionsrisiko einhergehen und die Patienten schneller behandlungsbedürftig werden (Rajkumar et al. 2013). Einer Studie zufolge besteht diese Assoziation zudem für 1q Zugewinne (Neben et al. 2013). Multiple Trisomien sind beim SMM ebenfalls mit einer kürzeren Zeit bis zur Progression zum symptomatischen Myelom assoziiert, jedoch verändert sich die prognostische Bedeutung der Hyperdiploidie im Krankheitsverlauf und geht bei Patienten mit multiplem Myelom mit einer günstigeren Prognose einher (Neben et al. 2013). Die del(13q) und t(11;14) haben keinen signifikanten Einfluss auf die Progression der Erkrankung (Rajkumar et al. 2013). Dementsprechend werden bei der Diagnose eines SMM zur Risikoklassifizierung FISH-Analysen zur Detektion von 1q Zugewinnen, der Deletionen 17p, 13q und 1p sowie der Translokationen t(11;14), t(4;14) und t(14;16) empfohlen (Ghobrial et al. 2014).
Derzeit besteht für das SMM keine Therapieindikation. Allerdings wird in der Literatur kontrovers diskutiert, ob SMM-Patienten, insbesondere der Hochrisiko-Gruppe, von einer frühen Intervention profitieren könnten (Kumar & Rajkumar 2018, Mateos & Gonzalez-Calle 2018, Kumar 2018). Eine Studie mit 119 Hochrisiko SMM-Patienten (definiert über bestimmte M-Protein-Level, den Plasmazellanteil im Knochenmark und den Anteil residueller nicht-maligner Plasmazellen) zeigte, dass die Behandlung mit einer Lenalidomid und Dexamethason-Kombinationstherapie im Vergleich zur Beobachtungskohorte zu einem verzögerten Progress und einem verbesserten Überleben führte (Mateos et al. 2013). Das Therapieregime beeinträchtige die Effizienz weiterer Therapien, sofern aufgrund eines Progresses nötig, nicht (Kumar & Rajkumar 2018). Es bedarf weiterer Studien, um den klinischen Nutzen einer frühen Intervention bei (Hochrisiko) SMM zu evaluieren, gerade vor dem Hintergrund der Einführung der SLiM-Kriterien und den Fortschritten in der Multiples-Myelom-Diagnostik (Rajkumar et al. 2014, Kumar 2018). Eine Vielzahl von Studien mit dieser Zielsetzung befindet sich gegenwärtig in Planung oder Durchführung (Mateos & Gonzalez-Calle 2018).
Referenzen
Die zugehörigen Referenzen finden Sie hier:
https://www.mll.com/erkrankungendiagnostik/plasmazellneoplasien/multiples-myelom.html#referenzen