5.000 Genomprojekt am MLL
Jeder Mensch ist individuell und nicht jede Therapie spricht bei jedem Patienten gleich gut an. Unsere Vision ist es, die genetischen Grundlagen der verschiedenen Leukämien und Lymphome noch besser zu verstehen, die Komplexität, die hinter jeder Erkrankung steht, zu begreifen. Nur dadurch können wir auch in Zukunft jedem Patienten die bestmögliche Diagnostik bieten. Aus diesem Grund wurde das 5.000 Genomprojekt am MLL gestartet.
Unser Antrieb
Jährlich erkranken in Deutschland rund 14.000 Menschen an Leukämie. Der Erfolg einer Therapie hängt maßgeblich vom Zeitpunkt und der Genauigkeit der Diagnose ab. Während die Diagnostik der Leukämien und Lymphome basierend auf den Diagnoserichtlinien der WHO (World Health Organisation) vor einigen Jahren noch sehr durch die Morphologie geprägt war, werden immer mehr genetische und molekulargenetische Marker zur Identifikation einer Leukämieart herangezogen.
So finden sich in der aktuellen Ausgabe der WHO 78 verschiedene genetische Veränderungen (Mutationen, Genfusionen und Überexpression), die eine spezielle Diagnose bedingen oder zumindest die Klonalität der Erkrankung beschreiben (Swerdlow et al., Blood, 2016; Arber et al., Blood, 2016).
Leukämie tritt in verschiedenen Formen auf und während einige Leukämiearten in ihrer Ausprägung und in ihrem molekularen Profil sehr einheitlich sind, gibt es andere Subentitäten mit einem deutlich breiteren Spektrum. Gerade diese Diversität erschwert nicht nur die Diagnose, sondern auch die Wahl der am besten geeigneten Therapie. Jedoch ermöglicht zunehmend das Wissen um krankheitsverursachende Veränderungen in der Leukämiezelle auch, diese gezielt durch Therapien anzugreifen. Ein prominentes Beispiel sind hier die Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI), die sehr erfolgreich bei der Chronischen Myeloischen Leukämie (CML) angewendet werden und dort spezifisch das krankheitsverursachende Target BCR-ABL1 attackieren. Diese Art von gezielter Therapie (targeted therapy) ist ein sehr gutes Beispiel für eine individuelle, personalisierte Medizin (personalized/precision medicine). Hierfür ist es wichtig, ein möglichst umfangreiches Verständnis bezüglich der ablaufenden, molekularen Prozesse zu besitzen.
Referenzen:
Swerdlow et al., Blood. 2016 May 19;127(20):2375-90.
Arber et al., Blood. 2016 May 19;127(20):2391-405.
Das 5.000 Genomprojekt
Aus diesem Grund wurde am MLL das 5.000 Genomprojekt gestartet. Um ein möglichst umfangreiches Wissen zu erlangen, haben wir begonnen, sehr viele verschiedene Subgruppen von Leukämien und Lymphome in unserem Projekt zu untersuchen. Durch unsere Biobank haben wir die Möglichkeit auch seltene Leukämien und Lymphome einzuschließen und damit ein sehr breites Spektrum an verschiedenen Entitäten abzudecken. Wir nutzen die Möglichkeit der Hochdurchsatzsequenzierung und untersuchen sowohl das Genom (WGS, Whole Genome Sequencing) als auch das Transkriptom (RNA-Seq) eines Patienten, um möglichst viel genetische Information zu erhalten. Durch die Kombination von WGS und RNA-Seq validieren wir nicht nur die gefundenen Varianten auf beiden Ebenen, sondern hinterfragen auch, ob die gefundenen Mutationen transkribiert und exprimiert werden und/oder ob gefundene Translokationen auch zu einem Fusionstranskript führen. Darüber hinaus versuchen wir den Genotyp mit dem Expressionsprofil zu korrelieren, um mehr über genetische Veränderungen und deren Auswirkung auf die Zelle zu erfahren. Welche Änderungen im Transkriptom zeigen z.B. Patienten mit Mutationen in einem der Splicing-Gene?
Sowohl mit DNA als auch mit RNA Profilen lassen sich Classifier trainieren, die eine Diagnose vorhersagen können. Möglicherweise lässt sich dies aber durch die Kombination beider Profile noch verbessern. Die Analyse von Expressionsprofilen erlaubt die Identifikation von veränderten zellulären Signalwegen (pathways) und basierend auf diesen Informationen lassen sich Netzwerke bilden, die Aussagen über die Funktion der Zelle geben können. Zusätzlich lassen sich mit diesen Netzwerken potentielle Auswirkungen und der Erfolg möglicher Therapieinterventionen in silico modellieren.
Infografik 5.000 Genomprojekt
5.000 Genomprojekt am MLL: Das bisherige Wissen kombinieren
Zuzüglich zu den neu gewonnenen genetischen Informationen haben wir am MLL die Möglichkeit auf die gute Charakterisierung der Patienten mittels Daten der Routinediagnostik: Morphologie, Immunphänotypisierung, Chromosomenanalyse und Mutationsanalysen zurückgreifen und diese in Beziehung zu setzen (orthogonaler Vergleich). Darüber hinaus haben wir Follow-up Informationen und klinische Daten, die uns Aufschluss über den Verlauf der Erkrankung bei jedem einzelnen Patienten geben. Durch Kombination aller Daten lassen sich wesentlich umfangreichere Risikostratifizierungen und Prognosen errechnen.
Alle diese gewonnenen genetischen Informationen - die Genomdaten und die Transkriptomdaten - verarbeiten wir mit modernsten Analysemethoden. Künstliche Intelligenz und ausreichend große Datenverarbeitungskapazitäten (Cloud Computing) erlauben uns heute überhaupt erst, diese umfassenden Analysen durchzuführen.
5.000 Genomprojekt am MLL: Kollaboration – Daten kontrolliert zugänglich machen
Da wir mit unseren eigenen Forschungsprojekten nicht alle Bereiche der verschiedenen Leukämien gleichermaßen gut abdecken können und die produzierten Daten eine große Fülle an verschiedensten Informationen enthalten, ermöglichen wir weltweit angesiedelten Forschungsgruppen in Kollaboration die Daten des 5.000 Genomprojekts mit uns hier am MLL zu bearbeiten. Diese Forschungsgruppen entsenden einzelne Wissenschaftler an das MLL, um das Potential verschiedener Forschungsideen und die Nutzbarkeit unserer Daten für diese Projekte zu diskutieren und dann gemeinsam zu bearbeiten. Um die Sicherheit unserer Daten unter Berücksichtigung der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) zu gewährleisten, verlassen diese unseren gesicherten Speicherort nicht. Die Wissenschaftler arbeiten nur vom MLL aus an den Daten (Data Management/Storage), um ihre verschiedenen Fragestellungen zu untersuchen und zu beantworten. Durch die kontrollierte Zugänglichkeit der Daten können wir die 5.000 sequenzierten Fälle der hämatologischen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung stellen und möglichst viel über die Leukämie und ihre Mechanismen lernen.