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Definition und Merkmale von CHIP in der Hämatologie
Unter der klonalen Hämatopoese von unbestimmtem Potential (clonal hematopoiesis of indeterminate potential, CHIP) versteht man das Vorliegen klonaler molekulargenetischer oder zytogenetischer Veränderungen in Blut- oder Knochenmarkzellen bei Abwesenheit von Anzeichen einer hämatologischen Neoplasie und Fehlen einer Zytopenie. Die Inzidenz einer CHIP nimmt mit steigendem Lebensalter zu. Während bei Personen unter 40 Jahren nur in seltenen Fällen CHIP detektiert wurde, wurde ab einem Alter von 70 Jahren eine klonale Hämatopoese bereits bei etwa 10% der Personen nachgewiesen. Ähnlich wie bei Patienten mit MGUS (monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz) oder mit einer MBL (monoklonale B-Zelllymphozytose) zeigte sich auch bei Individuen mit CHIP ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer hämatologischen Neoplasie. Dieses Risiko war bei Personen mit klonaler Hämatopoese 11 bis 13-fach erhöht, jedoch war die Transformationsrate insgesamt mit 0,5-1% pro Jahr relativ gering.
Hier können Sie sich über CHIP in der Kardiologie informieren.
Klassifikation von CHIP in der Hämatologie
CHIP wurde erst vor wenigen Jahren als neuer Begriff eingeführt (Steensma et al. 2015). Durch große Studien von insgesamt über 30.000 Blutproben konnte gezeigt werden, dass bei Personen mit unauffälligem Blutbild zum Teil Genmutationen vorliegen, die bislang vorwiegend bei Patienten mit einer akuten myeloischen Leukämie (AML) oder einem myelodysplastischen Syndrom (MDS) detektiert worden waren (Genovese et al. 2014, Jaiswal et al. 2014, Xie et al. 2014). Am häufigsten waren dabei die Gene DNMT3A, TET2 und ASXL1 betroffen.
Kennzeichen von CHIP
(ergänzt nach Steensma et al. 2015)
Nachweis einer klonalen Hämatopoese*
Abwesenheit von Dysplasien der Hämatopoese im Knochenmark
Keine Blastenvermehrung im Knochenmark/Blut
Ausschluss von paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie (PNH), MGUS und MBL
Progressionsrate von 0,5-1% pro Jahr
*somatische Mutation mit einer Allelfrequenz von mindestens 2% in einem der Gene: DNMT3A, TET2, JAK2, SF3B1, ASXL1, TP53, CBL, GNB1, BCOR, U2AF1, CREBBP, CUX1, SRSF2, MLL2 (KMT2D), SETD2, SETDB1, GNAS, PPM1D, BCORL1 oder eine nicht krankheitsdefinierende klonale zytogenetische Veränderung
Abgrenzung von CHIP in der Hämatologie zu MDS
Neben CHIP stellen auch CCUS (klonale Zytopenie unbestimmter Signifikanz), ICUS (idiopathische Zytopenie unbestimmter Signifikanz) und IDUS (idiopathische Dysplasie unbestimmter Signifikanz) mögliche Vorstadien eines MDS dar.
Besteht bei Vorliegen einer klonalen Hämatopoese zusätzlich eine Zytopenie, so wird dieses als CCUS bezeichnet. CHIP und CCUS unterscheiden sich von ICUS und IDUS durch den Nachweis einer Klonalität. Bei IDUS liegt wie beim MDS zusätzlich eine Dysplasie vor.
Tabelle 1: Abgrenzung von CHIP, ICUS, IDUS und CCUS zu MDS, modifiziert nach Valent et al. 2017
| CHIP | CCUS | ICUS | IDUS | Niedrigrisiko | Hochrisiko |
---|---|---|---|---|---|---|
Monoklonal/Oligoklonal | + | + | -/+ | +/- | + | + |
Dysplasie | - | - | - | + | + | + |
Zytopenie | - | + | + | - | + | + |
KM Blasten | <5% | <5% | <5% | <5% | <5% | <20% |
Abnorme Durchflusszytometrie | +/- | +/- | +/- | +/- | ++ | +++ |
Zytogenetische Aberrationen | +/- | +/- | +/- | +/- | + | ++ |
Molekulare Aberrationen | + | + | - | - | ++ | +++ |
Diagnostik der klonalen Hämatopoese von unbestimmtem Potential
Liegt aufgrund des molekulargenetischen oder zytogenetischen Befundes eine klonale Hämatopoese vor, sollte im Rahmen einer zytomorpholgischen Untersuchung eine Abgrenzung von CHIP (Abwesenheit von Dysplasie und Zytopenie) gegenüber CCUS (Zytopenie, aber Abwesenheit von Dysplasie) bzw. einer myeloischen Neoplasie erfolgen.
Eine klonale Hämatopoese kann in Abwesenheit somatischer Mutationen auch aufgrund nicht krankheitsdefinierender klonaler zytogenetischer Veränderungen diagnostiziert werden.
Sollte die Durchführung einer Chromosomenanalyse nicht möglich sein, so kann auch mittels FISH der Nachweis einer klonalen Hämatopoese erbracht werden.
Unterscheidung CHIP vs. MDS schwierig
Der alleinige Nachweis einer Mutation in einem der bei AML und MDS häufig mutierten Gene erlaubt keine Unterscheidung zwischen CHIP und MDS (siehe auch Diagnostik MDS (Molekulargenetik)). Ein fließender Übergang zwischen CHIP und MDS wird als wahrscheinlich angenommen. Ein wichtiges Indiz hierfür ist die Zunahme der genetischen Komplexität (vgl. Tabelle 2) hinsichtlich der Anzahl der Mutationen sowie der Klongröße (Allelfrequenz) (Cargo et al. 2015, Bejar 2017, Malcovati et al. 2017, Bewersdorf et al. 2019).
Tabelle 2: Vergleich molekulargenetischer Charakteristika zwischen CHIP, CCUS und MDS, Auswahl nach Bejar 2017
CHIP | CCUS (bei Diagnose) | MDS (alle Risikogruppen) | |
Häufig mutierte Gene | DNMT3A, TET2, ASXL1, PPM1D, JAK2, TP53 | TET2, DNMT3A, ASXL1, SRSF2, TP53 | SF3B1, TET2, ASXL1, SRSF2, DNMT3A |
Durchschnittliche Anzahl an Mutationen | 1 | 1,6 | 2,6 |
Typische Allelfrequenz | 9-12% | 30-40% | 30-50% |
Insgesamt sind MDS molekulargenetisch komplexer als CHIP: es liegen meist zwei oder mehr Mutationen vor und die Mutationslast liegt in der Regel über 10% (Haferlach et al. 2014, Malcovati et al. 2017, Sperling et al. 2017). Zudem finden sich Mutationen in bestimmten Genen (z.B. Spliceosom-Faktoren) häufiger bei MDS als bei CHIP, vgl. Tabelle 2 (Bejar 2017). Da es bei einem Progress (meist in ein MDS oder eine AML, seltener in eine myeloproliferative oder eine lymphatische Neoplasie) zu einer Anhäufung mehrerer Mutationen kommt (z.B. Steensma et al. 2015), wird empfohlen, in fraglichen Fällen Verlaufsuntersuchungen vorzunehmen.
Tabelle 3 zeigt eine Übersicht bekannter Mutationen bei MDS und CHIP. Das Vorliegen multipler Mutationen (z.B. SF3B1, SRSF2) erhöht die Wahrscheinlichkeit einer MDS-Diagnose bzw., dass der Patient ein MDS entwickelt.
Tabelle 3: Somatische Gen-Mutationen bei MDS und CHIP (Valent et al. 2017)
Gen | Chromosomen-Lokalisation | Häufigkeit* | ||
---|---|---|---|---|
MDS | CHIP | |||
NRAS | 1p13.2 | +/- | - | |
DNMT3A | 2p23 | + | + | |
SF3B1 | 2q33.1 | + | +/- | |
IDH1 | 2q33.3 | +/- | - | |
GATA2 | 3q21.3 | - | - | |
KIT | 4q11-12 | +/- | - | |
TET2 | 4q24 | + | + | |
NPM1 | 5q35.1 | - | - | |
EZH2 | 7q35-36 | +/- | - | |
JAK2 | 9p24 | +/- | + | |
CBL | 11q23.3 | +/- | +/- | |
KRAS | 12p12-11 | - | - | |
ETV6 | 12p13 | - | - | |
FLT3 | 13q12 | - | - | |
IDH2 | 15q26.1 | - | - | |
TP53 | 17p13.1 | +/- | +/- | |
PRPF8 | 17p13.3 | - | - | |
SRSF2 | 17q25.1 | + | +/- | |
CEBPA | 19q13.1 | - | - | |
ASXL1 | 20q11 | + | + | |
U2AF1 | 21q22.31 | +/- | - | |
RUNX1 | 21q22.12 | +/- | - | |
BCOR | Xp11.4 | - | - | |
ZRSR2 | Xp22.1 | +/- | - | |
STAG2 | Xq25 | +/- | - | |
*Definition der Häufigkeit: - <1% aller Patienten +/- 1-10% aller Patienten + >10% aller Patienten |
Prognose bei CHIP in der Hämatologie
Assoziation zwischen CHIP und hämatologischen und kardiovaskulären Erkrankungen
Mittels Gesamt-Exom-Sequenzierung (d.h. Sequenzierung aller proteinkodierenden Gene) von über 17.000, nicht auf hämatologische Erkrankungen selektierten, DNA-Proben aus peripherem Blut zeigte sich, dass eine altersbedingte klonale Hämatopoese mit einem erhöhten Risiko einhergeht, eine hämatologische Neoplasie zu entwickeln (Jaiswal et al. 2014).
Jaiswal und Kollegen fanden zudem eine Assoziation zwischen CHIP und einer erhöhten Mortalität (Jaiswal et al. 2014), die nach aktuellem Kenntnisstand auf einen Zusammenhang zwischen CHIP und kardiovaskulären Erkrankungen zurückzuführen ist (Jaiswal et al. 2014 & 2017). Insbesondere im Fall von TET2 Mutationen gibt es Hinweise, dass fehlerhafte Entzündungsreaktionen hierfür ursächlich sein könnten (Jaiswal et al. 2017).
CHIP-assoziierte Mutationen und Mutationsmuster unterscheiden sich in ihrem prädiktiven Wert für einen Progress in ein MDS oder eine AML
Der mögliche Progress einer klonalen Hämatopoese in ein MDS wurde in einer großen internationalen Studie für Patienten mit ungeklärter Zytopenie (cytopenia of undetermined significance, CUS) untersucht. Die Daten liefern erste Hinweise, dass der Nachweis von Mutationen in diesem Kontext einen prädiktiven Wert hat. Patienten, bei denen eine Mutation detektiert wurde, hatten ein circa 14-fach erhöhtes Risiko eine myeloische Neoplasie zu entwickeln. Die auftretenden Mutationen bzw. Mutationsmuster nahmen dabei unterschiedlich Einfluss auf das Progressionsrisiko. Für Patienten mit Mutation in einem der Spliceosom-Gene (SF3B1, SRSF2, U2AF1, ZRSF2) oder in einem der epigenetischen Faktoren TET2, ASXL1 oder DNMT3A in Kombination mit einer weiteren Mutation betrug das Risiko ca. 20% pro Jahr. Bei Patienten, die ein anderes Mutationsmuster aufwiesen, lag das Risiko bei ca. 10% pro Jahr (Malcovati et al. 2017) (vgl. auch CCUS).
In zwei retrospektiven Studien wurde evaluiert, ob sich Risikofaktoren für die Entwicklung einer AML identifizieren lassen. Insbesondere Mutationen in TP53, IDH1/2 sowie in Spliceosom-Genen waren mit einem erhöhten Progressionsrisiko assoziiert. Ebenso wie für einen möglichen Progress in ein MDS (vgl. CHIP (Molekulargenetik)) konnte ein Einfluss der Klongröße, der Anzahl von Mutationen sowie der Kinetik der klonalen Expansion festgestellt werden (Abelson et al. 2018, Desai et al. 2018).
CHIP als möglicher Risikofaktor für die Entwicklung therapieassoziierter myeloischer Neoplasien
CHIP-Klone können unter hämatologischem Stress, der u.a. durch zytotoxische Therapie, Bestrahlung oder Stammzelltransplantation entstehen kann, einen selektiven Überlebensvorteil gewinnen und expandieren (Ortmann et al. 2019, Coombs et al. 2017, Wong et al. 2018). Insbesondere TP53 und PPM1D mutierte Klone werden mit der Entwicklung therapieassoziierter Neoplasien nach zytotoxischer Therapie in Verbindung gebracht (Coombs et al. 2017, Hsu et al. 2018, Kahn et al. 2018, Wong et al. 2015 & 2018). Mutationen dieser beiden Gene finden sich mit einer Häufigkeit von jeweils 4% unter den CHIP-assoziierten Mutationen (Heuser et al. 2016).
Identifikation von CHIP möglicherweise künftig für Stammzelltransplantation von Bedeutung
In einer retrospektiven Analyse wurde gezeigt, dass Patienten mit CHIP nach autologer Stammzelltransplantation zur Therapie von Lymphomen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer therapieassoziierten myeloischen Neoplasie aufwiesen. Darüber hinaus war das Gesamtüberleben signifikant reduziert (Gibson et al. 2017).
Bei allogener Stammzelltransplantation beeinflusste der CHIP-Status des Spenders das Gesamtüberleben der Empfänger in einer ersten Studie hingegen nicht (Frick et al. 2018). Im Kontext CHIP-positiver Stammzellspender wurde eine erhöhte Inzidenz chronischer Graft-versus-Host-Erkrankungen beobachtet, welche mit einer geringeren Rezidiv- bzw. Progressionsrate einherging (Frick et al. 2018). Es gibt allerdings Fallberichte zum Auftreten von Spenderzellleukämien nach allogener Stammzelltransplantation im Zusammenhang mit CHIP-positiven älteren Spendern (Gondek et al. 2016, Frick et al. 2018).
Empfehlung bei CHIP in der Hämatologie
Auch in Anbetracht fehlender Möglichkeiten zur therapeutischen Intervention wird ein Screening auf das Vorliegen einer CHIP bei Personen mit normalem Blutbild nicht empfohlen (Heuser et al. 2016). Oft handelt es sich beim Nachweis einer klonalen Hämatopoese um einen Zufallsbefund. Bei einem normalen Blutbild sollte bei Patienten mit CHIP in regelmäßigen Abständen (zunächst nach 3 Monaten, später alle 12 Monate) ein Differenzialblutbild erstellt werden, um eine mögliche Progression zu erfassen. Liegt bei dem Patienten eine periphere Zytopenie vor, wird initial eine Knochenmarkpunktion und ein Differenzialblutbild nach 1, 2 und 3 Monaten sowie folgend alle 3 Monate empfohlen (Heuser et al. 2016).
Referenzen
Die zugehörigen Referenzen finden Sie hier:
https://www.mll.com/erkrankungendiagnostik/sonstige-maligne-und-benigne-erkrankungen/klonale-haematopoese-von-unbestimmtem-potential-chip.html#referenzen