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Definition und Merkmale
Die Inzidenz der CML liegt bei 1,5/100.000 Fällen pro Jahr mit einem medianen Alter bei Diagnose von 55-60 Jahren. Aufgrund verbesserter Therapieoptionen und der Verfügbarkeit von zielgerichteten Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) gegen BCR-ABL1 ist die Überlebensrate und damit die Prävalenz der Erkrankung kontinuierlich angestiegen.
Klassifikation der CML
Die CML zählt laut WHO-Klassifikation 2017 zu den myeloproliferativen Neoplasien und ist charakterisiert durch das Vorliegen eines BCR-ABL1-Rearrangements. Anhand von klinischen und hämatologischen Kriterien können bei der CML drei Phasen unterschieden werden: die chronische Phase (CP-CML), die akzelerierte Phase (AP-CML) und die Blastenphase („Blastenkrise“; BP-CML).
CML WHO-Klassifikation 2017
(Swerdlow et al. 2017)
Myeloproliferative Neoplasien
Chronische myeloische Leukämie (CML), BCR-ABL1-positiv
In Tabelle 1 werden die Kriterien zur Definition der akzelerierten Phase und Blastenkrise nach WHO 2017 und ELN (European LeukemiaNet) 2013 & 2020 verglichen.
Tabelle 1: Vergleich Kriterien zur Definition der akzelerierten Phase und Blastenkrise gemäß WHO 2017 (Swerdlow et al. 2017) und ELN 2013 (Baccarani et al. 2013), letztere haben auch in der aktualisierten ELN-Empfehlung Bestand (Hochhaus et al. 2020)
Akzelerierte Phase | Blastenkrise | |||
---|---|---|---|---|
WHO 2017 | ELN 2013 | WHO 2017 | ELN 2013 | |
Milz | Bestehende/zunehmende therapieresistente Splenomegalie | - | - | - |
Leukozyten | Bestehende/zunehmende Leukozytose (>10 x109/l), therapieresistent | - | - | - |
Blasten im PB oder KM | 10-19% | 15-29% oder | ≥20% | ≥30% |
Basophile im PB | ≥20% | ≥20% | - | - |
Thrombozytose/Thrombozytopenie | >1000 x109/l, therapieresistent | <100 x 109/l, nicht therapie-assoziiert | - | - |
Klonale Chromosomen-veränderungen/Ph+ | vorhanden | vorhanden | - | - |
Extramedulläre Blasten-proliferation | - | - | vorhanden | vorhanden |
Diagnostik der CML
Die Zytomorphologie dient der Sicherung der Diagnose und leistet Wesentliches zur Abgrenzung gegenüber anderen myeloproliferativen Erkrankungen. Darüber hinaus ist sie relevant für die Stadieneinteilung der CML in chronische Phase, akzelerierte Phase und Blastenkrise. Bei Verlaufskontrollen unter Therapie wird die hämatologische Remission nach zytomorphologischen Kriterien beurteilt.
Die Immunphänotypisierung gehört nicht zum Standard-Diagnostik-Programm bei einer CML zum Zeitpunkt der Erstdiagnose oder in Remission. Wichtig ist sie allerdings im Falle einer Blastenphase (BP) zur Abgrenzung einer myeloischen BP von einer BP lymphatischen Ursprungs.
Die Translokation t(9;22)(q34;q11) ist charakteristisch bei CML
Gemäß der WHO-Klassifikation ist der Nachweis eines Philadelphia-Chromosoms (Ph+) bzw. eines BCR-ABL1-Rearrangements die Voraussetzung, eine CML zu diagnostizieren. Zytogenetisch liegt das sogenannte Philadelphia Chromosom vor, welches meist aus einer reziproken Translokation zwischen dem langen Arm eines Chromosoms 9 und dem langen Arm eines Chromosoms 22 (t(9;22)(q34;q11)) entsteht. Dies führt auf molekularer Ebene zu einer Fusion zwischen dem auf dem langen Arm von Chromosom 9 lokalisierten ABL1 (Abelson)-Gen und dem auf dem langen Arm von Chromosom 22 lokalisierten BCR (breakpoint cluster region)-Gen. Diese sogenannte Standard-Philadelphia-Translokation findet sich bei ca. 90% der CML-Patienten. Die übrigen Patienten mit CML zeigen entweder variante Translokationen (Marzocchi et al. 2011), bei welchen neben den Chromosomen 9 und 22 ein oder mehrere weitere Chromosomen in die Translokation involviert sind, oder einen unauffälligen Karyotyp (Hagemeijer et al. 1993). Bei unauffälligem Karyotyp findet sich auch hier auf molekularer Ebene ein BCR-ABL1-Fusionsgen, das mittels Fluoreszenz in situ Hybridisierung (FISH) und/oder Polymerase-Kettenreaktion (PCR) nachweisbar ist. Bei diesen Patienten entsteht das BCR-ABL1-Fusionsgen als Folge submikroskopischer Insertionen von Teilen des ABL1-Gens in den BCR-Locus, seltener von BCR-Anteilen in den ABL1-Locus (zytogenetisch kryptisches BCR-ABL1-Rearrangement). Diese Subgruppe wird als Philadelphia-negative, BCR-ABL1-positive CML bezeichnet (Hagemeijer et al. 1993). Bezüglich klinischem Bild, Krankheitsverlauf, Ansprechen auf Therapie und Überleben unterscheiden sich beide Patientengruppen nach den bisher vorliegenden Daten nicht von den Patienten mit einer klassischen, Philadelphia-positiven CML.
Für ein valides Ergebnis sollten mindestens 20 Metaphasen ausgewertet werden (ISCN, ELN). Die Chromosomenanalyse ermöglicht darüber hinaus auch eine Beurteilung der zytogenetischen Remission.
Das Vorliegen von Zusatzaberrationen neben der Translokation 9;22 bei Erstdiagnose oder im Verlauf der Erkrankung kann die Prognose beeinflussen (siehe Prognose) und ist von therapeutischer Relevanz (siehe Therapie).
Davon abzugrenzen ist das Auftreten von klonalen chromosomalen Aberrationen in Philadelphia-negativen Klonen unter TKI-Therapie. Die Detektion solcher Veränderungen ist von prognostischer Bedeutung (siehe Prognose).
FISH: schnelle Diagnosesicherung an Interphase-Kernen und Metaphasen
Die FISH-Analyse kann das Vorliegen eines BCR-ABL1-Rearrangements innerhalb von 24 Stunden bestätigen bzw. ausschließen. Mittels FISH an Interphase-Kernen können 100 bis 200 Zellen auf das Vorliegen eines BCR-ABL1-Rearrangements überprüft werden. Auch bei Patienten mit Philadelphia-negativer, BCR-ABL1-positiver CML (also zytogenetisch kryptischem BCR-ABL1-Rearrangement) lässt sich mit dieser Technik die Diagnose sichern – in diesem Fall ist eine FISH Analyse nach Empfehlung des ELN obligat (Hochhaus et al. 2020). Ferner kann mittels FISH das zytogenetische Ansprechen auf die Therapie sowohl an Interphase-Kernen als auch an Metaphasen überprüft werden. Eine wesentlich höhere Sensitivität für die Bestimmung der Resterkrankung weisen jedoch molekulargenetische Methoden auf, die daher nach ELN-Empfehlung obligat für das Monitoring unter Therapie sind (Hochhaus et al. 2020).
Kontrolle des Therapieansprechens und Mutationsanalyse bei Therapieresistenz
Die Molekulargenetik mit den Methoden der PCR und der Sequenzierung spielt die zentrale Rolle in der CML-Diagnostik. Neben der Diagnose (Nachweis des BCR-ABL1-Rearrangements) werden diese diagnostischen Methoden heute sowohl zur Kontrolle des Therapieansprechens (BCR-ABL1-Expressionslevel) (siehe Tabelle 2) als auch zur Identifizierung von Resistenzmutationen bei Therapieversagen routinemäßig eingesetzt.
Molekulares Ansprechen muss nach International Scale berechnet werden
Der BCR-ABL1-Expressionslevel wird mittels real-time (Echtzeit) PCR quantifiziert. Die Methode der RQ-PCR (quantitative real-time PCR) weist hierfür die nötige, hohe Sensitivität von bis zu 10-5 (1 in 100 000) auf. Das molekulare Ansprechen (Molecular Response, MR) wird nach festgelegten Kriterien bestimmt (vgl. Tabelle 2). So ist ein gutes molekulares Ansprechen (Major Molecular Response, MMR) erreicht, wenn ≤0,1000% BCR-ABLIS (% BCR-ABL1/ABL1 nach International Scale) gemessen wird.
Der Wert % BCR-ABL1/ABL1 nach International Scale (IS) wird berechnet, indem der im individuellen Labor bestimmte Wert von % BCR-ABL1/ABL1 mit dem labor-spezifischen Konversionsfaktor multipliziert wird. Der labor-spezifische Konversionsfaktor wird im Vergleich zu einem Referenzlabor jedes Jahr neu bestimmt und ermöglicht eine Vergleichbarkeit der % BCR-ABL1/ABL1 Werte zwischen unterschiedlichen Laboren. Das Ansprechen ist definiert durch % BCR-ABL1/ABL1 nach IS und die Log Reduktion bezogen auf die IRIS-Basislinie (entspricht 100%). Weiterhin muss für die Vergabe eines MR-Status die entsprechende Sensitivität erreicht werden, die durch die Summe der ABL1-Kopien in den durchgeführten Messungen repräsentiert wird.
Tabelle 2: Molekulare Ansprechkriterien (nach Cross et al. 2015), ergänzt nach Hochhaus et al. 2020
Ansprechen | % BCR-ABL1/ABL1 | Log Reduktion ausgehend | Minimale Anzahl an ABL1 Kopien (Sensitivität) |
---|---|---|---|
MMR | ≤0,1000 | 3 | 10 000* |
MR4 | ≤0,0100 | 4 | 10 000 * |
MR4.5 | ≤0,0032 | 4,5 | 32 000 |
MR5 | ≤0,001 | 5 | 100 000 |
*Jeder Wert der Doppelmessung muss mindestens 10.000 betragen, sonst darf kein MR-Status vergeben werden.
BCR-ABL1-Mutationen
Bei Patienten, die mit einem TKI behandelt werden, besteht in einigen Fällen eine Assoziation zwischen dem Wiederanstieg der BCR-ABL1-Expression und dem Auftreten einer TKI-Resistenz. In dieser Situation sollte deshalb eine Sequenzierung auf BCR-ABL1-Mutationen erfolgen. Da bestimmte Mutationen Resistenzen für einzelne Tyrosinkinase-Inhibitoren vermitteln und andere TKI dagegen weiterhin wirksam sein können, ist die genaue Definition der Mutation wichtig für weitere Therapieentscheidungen (u.a. Hochhaus et al. 2020). Im Gegensatz zur klassischen Sanger-Sequenzierung können mittels Next-Generation-Sequencing (NGS) auch Mutationen mit einem Allelanteil von 3-15% detektiert werden, die von Soverini et al. als „minor mutations“ bzw. „low-level mutations“ bezeichnet werden (Soverini et al. 2013, Soverini et al. 2020). Da solche Subklone im Verlauf der Therapie expandieren und eine Therapieresistenz vermitteln können, spielt die frühe und sensitive Detektion dieser Mutationen eine immer stärker werdende Rolle für die Therapieentscheidung (Baer et al. 2016, Soverini et al. 2017 & 2020). Eine erste prospektive Studie unterstreicht den klinischen Nutzen von NGS für die sensitive Detektion von BCR-ABL1-Mutationen bei CML-Patienten mit suboptimalem Therapieansprechen (Soverini et al. 2020).
BCR-ABL1 unabhängige Genmutationen
Die CML galt lange Zeit als genetisch einheitlich, aktuelle molekulargenetische Forschung auf diesem Gebiet zeichnet allerdings ein heterogeneres Bild. Bei der CP-CML wurden dabei Mutationen in sieben Genen in mehr als einer Studie als rekurrent beschrieben: ASXL1, DNMT3A, TET2, KMT2D, JAK2, RUNX1 sowie TP53 (Branford et al. 2019). Die Komplexität der Mutationslandschaft nimmt mit Krankheitsprogress in eine akute- bzw. Blastenphase deutlich zu (Branford et al. 2019, Awad et al. 2020). In diesem fortgeschrittenen Krankheitsstadium sind unter den BCR-ABL1 unabhängigen Mutationen am häufigsten: RUNX1-Mutationen (18,3%), IKFZ1 Exon-Deletionen (16,0%) sowie ASXL1-Mutationen (15,1%) (Branford et al. 2019). IKFZ1-Aberrationen sind stark assoziiert mit einer lymphatischen Blastenkrise, während ASXL1-Mutationen v.a. im Kontext einer myeloischen Blastenkrise auftreten (Mullighan et al. 2008, Grossmann et al. 2011, Branford et al. 2018).
In vielen Studien zur Mutationslandschaft bei CP-CML Diagnose ist ASXL1 das am häufigsten mutierte Gen (Ernst et al. 2016, Baer et al. 2017, Kim et al. 2017, Branford et al. 2018 und 2019, Nteliopoulos et al. 2019, Awad et al. 2020). Die Inzidenz lag in einer Meta-Analyse 15 verschiedener Studien bei 9,7% (Branford et al. 2019). Der Umstand, dass ASXL1-Mutationen auch bei Kindern und jungen Erwachsenen mit CP-CML gefunden werden (Ernst et al. 2018) deutet darauf hin, dass ASXL1-Mutationen im Kontext einer CML nicht ausschließlich als altersbedingtes Phänomen erklärt werden können (siehe CHIP).
Einige kleine retrospektive Studien geben Hinweis darauf, dass das Auftreten von Mutationen, insbesondere im ASXL1-Gen, mit einem Therapieversagen korreliert (Schnittger et al. 2014, Baer et al. 2017, Branford et al. 2018, Nteliopoulos et al. 2019, Awad et al. 2020), während dieser Zusammenhang in einer weiteren Studie nicht nachweisbar war (Elena et al. 2016). Auch für einen möglichen Zusammenhang zwischen BCR-ABL1 unabhängigen Veränderungen und dem Krankheitsprogress gibt es erste Indizien (Branford et al. 2018, Nteliopoulos et al. 2019, Awad et al. 2020).
Prognose bei CML
Klinische Prognose-Scores
In jeder CML Therapie-Ära wurden Scores zur Risikoeinschätzung entwickelt, die rein auf klinischen Parametern basieren; Tabelle 3 gibt einen Überblick.
Tabelle 3: Vergleich verschiedener klinischer Scores zur Risikostratifizierung bei CML
Score | Sokal (1984) | Hasford (1998) | EUTOS (2011) | ELTS (2016) | |
---|---|---|---|---|---|
Therapie-Ära | Busulfan/Splenektomie +
| Interferon alpha | Imatinib | Imatinib | |
Prädiktion von | Überleben | Überleben | Erreichen einer kompletten zytogenetischen Remission binnen 18 Monaten | CML-bedingte Mortalität | |
Anzahl Risikogruppen | 3 | 3 | 2 | 3 | |
klinische Parameter | Alter | x | x | - | x |
Milzgröße | x | x | x | x | |
Thrombozyten (/nl) | x | x | - | x | |
Blasten im Blut (%) | x | x | - | x | |
Basophile im Blut (%) | - | x | x | - | |
Eosinophile im Blut (%) | - | x | - | - |
Der 2016 beschriebene EUTOS long term survival (ELTS) Score besitzt in der heutigen Ära der Tyrosinkinase-Inhibitoren die größte prognostische Relevanz (Geelen et al. 2018) und sollte daher nach Empfehlung des ELN zur Risikostratifizierung verwendet werden (Hochhaus et al. 2020). Vom Sokal Score, der dieselben Parameter zur Risikoeinteilung heranzieht, unterscheidet sich der ELTS Score durch die Gewichtung der Parameter (Hochhaus et al. 2020).
Dem ELTS Score zugrunde liegt die Untersuchung der CML bedingten Mortalität unter Imatinib-Erstlinien-Therapie in einer Studie von Pfirrmann et al. Als prognostische Faktoren für CML-bedingte Mortalität wurden Alter, Milzgröße, Blastenanteil im Blut und Thrombozytenzahl identifiziert. Die Stratifizierung basierend auf dem eigens entwickelten ELTS Score erlaubte die Einteilung der 2205 evaluierbaren Studienteilnehmer in drei Risikogruppen, der Großteil der Patienten (61%) entfiel dabei auf die Niedrigrisiko-Gruppe, 12% wurden der Hochrisiko-Gruppe zugeordnet. Die Wahrscheinlichkeit CML-bedingt im 8-Jahreszeitraum zu versterben, lag bei 11% (Hochrisiko), 6% (intermediäres Risiko), bzw. 2% (Niedrigrisiko). Auch hinsichtlich des Gesamtüberlebens besaß die Stratifizierung nach ELTS Score prognostische Relevanz, die 8-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit betrug für Patienten der Hochrisiko-Gruppe 81%, für Patienten mit intermediärem Risiko 84% und in der Niedrigrisiko-Gruppe 93% (Pfirrmann et al. 2016).
Prognoseberechung
Hier gelangen Sie zur Prognoseberechnung des ELTS Scores.
Zusätzliche zytogenetische Aberrationen sind zum Teil mit einer ungünstigeren Prognose assoziiert
Bei bis zu 10% der Patienten werden bei Erstdiagnose neben der Philadelphia-Translokation zusätzliche zytogenetische Aberrationen beobachtet. Der Anteil an Patienten mit Zusatzaberrationen nimmt im Verlauf der Erkrankung zu und beträgt ca. 30% in der akzelerierten Phase (Cortes et al. 2003) und 60-80% in der Blastenkrise (Anastasi et al. 1995, Johansson et al. 2002, Chen et al. 2017, Hehlmann et al. 2020).
Solche zusätzlichen chromosomalen Veränderungen sind ein Zeichen für die Progression der Erkrankung. Neben Punktmutationen in der ABL1-Kinasedomäne stellen sie darüber hinaus auch eine mögliche Ursache für eine TKI-Resistenz dar. Zusatzaberrationen können bereits vor Auftreten der klinischen Symptomatik einer Blastenkrise beobachtet werden (Marin et al. 2008). Das Zeitintervall vom Auftreten der Zusatzaberrationen bis zum Beginn der Blastenphase ist dabei von der Art der Zusatzaberration abhängig (Gong et al. 2017). Für die von Gong et al. beschriebenen Hochrisiko-Aberrationen (Isochromosom 17q (i(17q)), Aberrationen des Chromosoms 7 (-7/del(7q)), 3q26-Rearrangements, komplexer Karyotyp (≥ 2 Aberrationen neben t(9;22)) wurde ein rascher Progress beschrieben, so kam es bei diesen Patienten im Median ~2 Monate nach Auftreten der Zusatzaberrationen zu einer Blastenkrise (Gong et al. 2017).
Eine Einteilung der Zusatzaberrationen kann entsprechend ihrer Häufigkeit erfolgen. Dabei wird zwischen Zusatzaberrationen der sogenannten „major route“ (Trisomien der Chromosomen 8 und 19, i(17q), zusätzliches Philadelphia-Chromosom) und der „minor route“ (z.B. -7, -17, +17, +21, -Y und t(3;21)) unterschieden. Das Auftreten von „major route“ Zusatzaberrationen wurde mit einer schlechteren Prognose und einer höheren Rate der Progression zur Akzelerationsphase bzw. Blastenkrise assoziiert (Fabarius et al. 2011).
Neuere Daten erlauben jedoch eine Einteilung der einzelnen zytogenetischen Zusatzaberrationen auf Basis ihrer prognostischen Bedeutung (Wang et al. 2016, Gong et al. 2017, Hehlmann et al. 2020). Das ELN empfiehlt auf dieser Grundlage eine Unterscheidung zwischen „high-risk“ und „low-risk“ Zusatzaberrationen. Zu den „high-risk“ Zusatzaberrationen werden gezählt: Trisomie 8 und 19, zusätzliches Philadelphia-Chromosom, i(17q), -7/del(7q), Aberrationen von 11q23 und 3q26.2 sowie ein komplexer Karyotyp. Alle weiteren Zusatzaberrationen gehören der „low-risk“ Gruppe an (Hochhaus et al. 2020). „High-risk“ Zusatzaberrationen prognostizieren ein verschlechtertes Therapieansprechen sowie ein erhöhtes Progressionsrisiko (Hochhaus et al. 2020), sie werden daher in der Therapieplanung berücksichtigt (vgl. Therapie).
Hinweis auf Prognoseverschlechterung bei Auftreten Philadelphia-negativer Klone
Philadelphia-negative Klone können während einer Therapie bei CML mit Tyrosinkinase-Inhibitoren bei 5-10% der Patienten in zytogenetischer Remission nachgewiesen werden (Abruzzese et al. 2007, Deininger et al. 2007, Jabbour et al. 2007, Baccarani et al. 2013). Die häufigsten zytogenetischen Veränderungen bei chronischer myeloischer Leukämie sind der Verlust des Y-Chromosoms (-Y) und die Trisomie 8 (+8). Die Bedeutung derartiger Philadelphia-negativer Klone galt lange Zeit als weitestgehend unklar (Abruzzese et al. 2007, Deininger et al. 2007, Jabbour et al. 2007, Marin et al. 2008, Groves et al. 2011). Neuere Daten weisen jedoch auf eine ungünstigere Prognose dieser Patienten hin, wenn der Philadelphia-negative Klon nicht nur einen Verlust des Y-Chromosoms aufweist (Issa et al. 2017).
In einzelnen Fällen wurde für das Auftreten Philadelphia-negativer Klone eine Assoziation zur Entwicklung eines MDS bzw. einer AML beschrieben – insbesondere bei Vorliegen einer Monosomie 7 oder Bestehen von Zytopenien bzw. Dysplasien (Groves et al. 2011, Issa et al. 2017). Das Auftreten von Aberrationen von Chromosom 7 bzw. von Dysplasien war darüber hinaus mit einem verschlechterten tiefmolekularen Ansprechen auf TKI assoziiert (Bidet et al. 2019).
Qualität des Ansprechens nach 3 Monaten prädiktiv für tiefe molekulare Remission
Die Tiefe des molekularen Ansprechens nach drei Monaten ist ein prognostischer Faktor dafür, ob CML-Patienten nach 18 Monaten eine tiefe molekulare Remission (MR4.5) erzielen. Laut ELN-Kriterien sollten Patienten nach 3 Monaten optimaler Weise ein gutes molekulares Ansprechen mit BCR-ABL1/ABL1 nach IS von ≤10% erreicht haben. Ist dies nicht der Fall, kann eine TKI-Resistenz durch eine oder mehrere BCR-ABL1-Mutationen zu Grunde liegen und in Abhängigkeit des Mutationsstatus einen Wechsel des TKI erforderlich machen (Hochhaus et al. 2020). Das Erreichen tiefer molekularer Remissionen minimiert das Risiko des Verlustes der kompletten zytogenetischen Remission bzw. der MMR. Bisher konnte jedoch noch nicht abschließend geklärt werden, ob eine tiefere molekulare Remission mit einem längeren Überleben bei chronischer myeloischer Leukämie assoziiert ist (Falchi et al. 2013, Hehlmann et al. 2014, Kantarjian & Cortes 2014).
Therapie bei CML
Bei der Therapieplanung der CML werden neben den Krankheitsphasen auch etwaig bestehende Komorbiditäten und die Möglichkeit eines TKI-Absetzversuches berücksichtigt. Ein engmaschiges diagnostisches Monitoring erlaubt die Beurteilung des Therapieansprechens – und die therapeutische Intervention bei unzureichendem Ansprechen, Resistenz, Intoleranz oder Progression. Folgend werden verschiedene Aspekte des Therapiealgorithmus detaillierter beschrieben, eine Übersicht gibt zudem Abbildung 1. (Hinweis: Durch einen Klick auf die Abbildung lässt sie sich vergrößern.)
Abbildung 1: Entscheidungsfindung in der CML-Therapie, nach Onkopedia Leitlinie CML 2018, Cortes 2020 und Hochhaus et al. 2020.
Molekulares Ansprechen entscheidend für Therapieverlauf bei CML
Die Schlüsselrolle im Therapiemonitoring nimmt die molekulargenetische Analyse der BCR-ABL1-Transkripte ein. Bei Erstdiagnose ist die Bestimmung des vorliegenden Transkript-Typs obligat (Hochhaus et al. 2020). Dies ist Voraussetzung für das molekulare Monitoring im Therapieverlauf mittels RQ-PCR, die heute Standard in der CML Diagnostik ist (vgl. Tabelle 4 sowie Diagnostik der CML, Molekulargenetik). Das molekulare Ansprechen auf eine TKI-Therapie ist ein entscheidender prognostischer Parameter mit Konsequenzen für die weitere Therapieplanung (vgl. Tabelle 5 und Abbildung 1).
Tabelle 4: Diagnostik bei der CML nach European LeukemiaNet (ELN) (ergänzt nach Hochhaus et al. 2020)
Untersuchungsmethode | Untersuchungszeitpunkt | |||
---|---|---|---|---|
Diagnose | im Verlauf | Therapieversagen/Resistenz | (Verdacht auf) Progression | |
Zytomorphologie | x | x alle 2 Wochen bis zur kompletten hämatologischen Remission, häufiger im Fall hämatologischer Toxizität | - | x Bestimmung des Blastenanteils
|
Immunphänotypisierung | - | - | - | Unterscheidung zwischen myeloischen und lymphatischen Blasten |
Chromosomenanalyse (Knochenmark) | x | - | x Nachweis/ Ausschluss von Zusatzaberrationen | x Nachweis/ Ausschluss von Zusatzaberrationen |
FISH | (x) in Ph-negativen Fällen | (x) bei atypischen BCR-ABL1-Transkripten | - | - |
Molekulargenetik | x qualitative PCR zum Nachweis der BCR-ABL1-Fusion und Bestimmung des Transkript-Typs; optional: RQ-PCR | x RQ-PCR alle 3 Monate, auch nach Erreichen einer MMR | x Mutationsanalyse der ABL1-Kinasedomäne | x Mutationsanalyse der ABL1-Kinasedomäne |
Definition des molekularen Ansprechens auf Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI)
Die Definition von optimalem Ansprechen auf eine Behandlung bei CML mit einem TKI bzw. Therapieversagen ist in Tabelle 5 und in Abbildung 1 dargestellt. Zwischen optimalem Ansprechen und Therapieversagen liegt ein Warnbereich, in dem Patienten eine engmaschige Kontrolle benötigen. Bei einem Therapieversagen sollte nach den Empfehlungen des ELN eine Umstellung der Therapie auf einen alternativen TKI in Erwägung gezogen werden. Einem Wechsel der Therapie sollte auf jeden Fall eine BCR-ABL1-Mutationsanalyse vorangehen, um, je nach Art der Punktmutation in der ABL1-Kinasedomäne, die optimale Auswahl für einen alternativen TKI treffen zu können (Baccarani et al. 2013, Hochhaus et al. 2020). Eine Mutationsanalyse wird außerdem empfohlen bei wiederholter Verdopplung des BCR-ABL1/ABL1-Wertes (in %), bei suboptimalem Ansprechen oder bei primärer Resistenz.
Risikobasierte Einteilung von zytogenetischen Zusatzaberrationen wichtig für die Therapieplanung
Das Auftreten von „high-risk“ Zusatzaberrationen nach ELN (vgl. Prognose) gilt bei Erstdiagnose als Warnsignal und im Verlauf als Therapieversagen (vgl. Tabelle 5 und Abbildung 1). Das ELN empfiehlt diese Patienten als Hochrisiko-Patienten zu behandeln, was ein engmaschiges Monitoring und ggf. einen Therapiewechsel oder eine Therapieintensivierung erforderlich macht (Hochhaus et al. 2020) (vgl. Tabelle 5 und Abbildung 1). Bei „low-risk“ Patienten soll gemäß den ELN-Empfehlungen wie bei Patienten ohne Zusatzaberration vorgegangen werden.
Tabelle 5: Definition des Ansprechens auf TKI (nach Hochhaus et al. 2020)
Zeitpunkt | Therapieversagen | Warnsignal (engmaschige Kontrolle nötig) | Optimales Ansprechen |
---|---|---|---|
Diagnose |
|
| |
3 Monate nach Therapiebeginn |
sofern innerhalb von 1-3 Monaten bestätigt
|
|
|
6 Monate nach Therapiebeginn |
|
|
|
12 Monate nach Therapiebeginn |
|
|
|
Jederzeit |
|
|
|
*„high-risk“ Zusatzaberrationen nach ELN: +8, + 19, zusätzliches Philadelphia-Chromosom, i(17q), -7/del(7q), 11q23-Aberrationen, 3q26.2-Aberrationen, komplexer Karyotyp
Therapie-freie Remission
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass das Absetzen der TKI Behandlung (TKI Stopp) nach Erreichen und Erhalt einer tiefen molekularen Remission möglich und sicher ist (Campiotti et al. 2017, Narra et al. 2017, Saussele et al. 2018). Je nach Studie verblieben 40-55% der Patienten in molekularer Remission, wobei die Faktoren, die ein Rezidiv prognostizieren, noch Gegenstand der aktuellen Forschung sind (Hochhaus et al. 2019). In den aktualisierten ELN-Empfehlungen werden Kriterien für einen TKI Stopp benannt (Tabelle 6 und Abbildung 1).
Tabelle 6: Kriterien für das Absetzen von Tyrosinkinase-Inhibitoren (nach Hochhaus et al. 2020)
Obligat | Minimal (TKI Stopp kann erlaubt werden) | Optimal (Empfehlung zur Erwägung eines TKI Stopps) |
Patient befindet sich in der ersten chronischen Phase | Patient befindet sich in der Erstlinientherapie, oder Zweitlinientherapie, sofern nur Intoleranz Grund für TKI-Wechsel | TKI-Therapie seit >5 Jahren |
Patient mit Motivation und strukturierter Kommunikation | Typische BCR-ABL1-Transkripte (e13a2 oder e14a2) | Tief molekulares Ansprechen (MR4) besteht seit >3 Jahren |
Zugang zu hochqualitativer RQ-PCR-Diagnostik nach International Scale mit kurzen Bearbeitungszeiten | TKI-Therapie seit >5 Jahren bzw. >4 Jahren (für TKIs der zweiten Generation) | Tief molekulares Ansprechen (MR4.5) besteht seit >2 Jahren |
Einwilligung des Patienten zu häufigerer Probenentnahme: Erste 6 Monate: monatlich 6-12 Monate: alle 2 Monate Im Anschluss: alle 3 Monate | Tief molekulares Ansprechen (MR4 oder darunter) besteht seit >2 Jahren |
|
| Kein vorangegangenes Therapieversagen |
|
Das Auftreten von Rezidiven nach TKI Stopp ist grundsätzlich möglich und tritt i.d.R. innerhalb der ersten 6-8 Monate nach TKI Stopp auf (Saußele et al. 2016, Hochhaus et al. 2020). Als Rezidiv wird mehrheitlich der Verlust des guten molekularen Ansprechens (MMR) gewertet (Rousselot et al. 2014). In diesem Fall ist die Behandlung wieder aufzunehmen. Unter Reinitiierung der Therapie mit demselben TKI konnte ein molekulares Ansprechen in der überwiegenden Mehrheit (90-95%) der Patienten wieder erreicht werden (Hochhaus et al. 2020).
Studienübersicht der Deutschen CML-Allianz
Im verlinkten PDF-Dokument finden Sie eine Übersicht der aktuell rekrutierenden Studien für erwachsene CML-Patienten der Deutschen CML-Allianz.
Referenzen
Die zugehörigen Referenzen finden Sie hier:
https://www.mll.com/erkrankungendiagnostik/chronische-myeloische-leukaemie-cml/chronische-myeloische-leukaemie-cml.html#referenzen