Fortschritte in der gezielten Therapie von hämatologischen Neoplasien

In den letzten Jahren hat die Erforschung der zugrundeliegenden pathogenetischen Mechanismen hämatologischer Neoplasien zu bemerkenswerten Fortschritten in unserem Verständnis dieser Krankheiten geführt. Zytogenetische und molekulare Aberrationen sind die wichtigsten Faktoren bei der Bestimmung des Ansprechens auf eine Chemotherapie. Des Weiteren helfen sie bei der Prognose der Langzeitergebnisse und sind darüber hinaus potenzielle therapeutische Ziele. Unser besseres Verständnis der Pathogenese dieser Erkrankungen, unter anderem durch Next-Generation Sequencing (NGS), hat die Entwicklung neuer Therapiealgorithmen bei der Behandlung von Leukämien und Lymphomen vorangetrieben. In den letzten Jahren wurden in klinischen Studien verschiedene neue Wirkstoffe wie Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI), Immun-Checkpoint-Inhibitoren, monoklonale oder bispezifische T-Zell-Engager-Antikörper, metabolische und proapoptotische Wirkstoffe untersucht und als neue zielgerichtete Therapien zugelassen. Die höchsten Ansprechraten werden häufig erreicht, wenn neue molekulare zielgerichtete Therapien mit einer Standardchemotherapie kombiniert werden. In dieser Newsletterausgabe möchten wir zunächst eine Übersicht über neuartige Therapien der AML geben.


FLT3
 Tyrosin Kinase Inhibitoren (TKI)

Etwa bei einem Drittel der AML-Patienten findet man Mutationen im Bereich der für die FLT3-Kinase kodierenden Sequenzen. Midostaurin (Rydapt®, Novartis Pharmaceuticals, Inc.) ist hier der erste TKI, der als Kombinationstherapie mit der 7+3 Standardchemotherapie bei neu diagnostizierten FLT3-mutierten AML Patienten unabhängig vom Alter zugelassen wurde.

Die Zulassung von Midostaurin bei FLT3-mutierter AML basiert auf den positiven Ergebnissen der großen internationalen randomisierten Phase-III-Studie (Cancer and Leukemia Group B [CALGB] 10603 / RATIFY). Da gezeigt wurde, dass sowohl eine gleichzeitige NPM1-Mutation als auch das Allelverhältnis von FLT3-ITD zum Wildtyp die Prognose einer zytogenetisch normalen FLT3-mutierten AML beeinflussen, sollten diese beiden Merkmale bestimmt werden. Im MLL bestimmen wir sowohl die Mutation inklusive Ratio bei Erstdiagnose als auch im Verlauf, um im Einzelfall frühzeitig therapeutisch reagieren zu können.

Weitere, in Phase II/III Studien untersuchte TKIs sind unter anderem:

  • Quizartinib, ein im Vergleich zu Midostaurin spezifischerer und wirksamerer TKI der zweiten Generation. Er hemmt die FLT3-Wildtyp- und FLT3-ITD-Aktivität, nicht jedoch FLT3-TKD (Kayser & Levis 2014)

  • Crenolanib ist ein weiterer selektiver FLT3-Inhibitor, der sowohl FLT3-ITD- als auch FLT3-TKD-Mutationen hemmt (Galanis et al. 2014)

  • Gilteritinib ist, vergleichbar mit Crenolanib, ein neuartiger, hochselektiver, potenter oraler FLT3-Inhibitor mit Aktivität gegen ITD- und TKD-Mutationen (Lee et al. 2017)


Inhibitoren der Isocitratdehydrogenasen (IDH) IDH1/IDH2

Mutationen in IDH1 und IDH2 werden bei etwa 8% bzw. 12% der Patienten mit AML nachgewiesen (Papaemmanuil et al. 2016). IDH1-Mutationen treten fast ausschließlich bei R132 auf, während IDH2 Substitutionen bei R140 oder R172 beobachtet werden (Stein 2015). Funktionell führen IDH-Mutationen zu einem Stillstand der hämatopoetischen Differenzierung aufgrund erhöhter Spiegel des Oncometaboliten 2-Hydroxyglutarat, was zu einer DNA-Hypermethylierung über die Hemmung der Histon-Demethylierung führt (Stein 2015).

Eine Dosisfindungsstudie bei hauptsächlich rezidivierten / refraktären AML-Patienten mit dem selektiven und wirksamen IDH2-Inhibitor Enasidenib (AG-221 / CC-90007; Celgene Corp.) zeigte eine vielversprechende Aktivität als Einzelwirkstoff bei Patienten mit mutiertem IDH2.
Basierend auf diesen Ergebnissen erhielt Enasidenib in den USA (1. August 2017) die behördliche Zulassung für die Behandlung von rezidivierter / refraktärer AML mit einer IDH2-Mutation durch die FDA.

Daten zur Kombinationstherapie des IDH1-Inhibitors Ivosidenib mit Azacytidin in neu diagnostizierter IDH1-mutierter AML bei älteren Patienten sind ebenfalls vielversprechend mit einer Rate an kompletten Remissionen von 61% (DiNardo 2020). Eine europäische Zulassung der Substanzen ist derzeit allerdings noch nicht absehbar.


Proapoptotische Agentien (BCL2 Inhibitor)

Das antiapoptotische Protein B-cell lymphoma 2 (BCL2), das häufig bei hämatologischen Neoplasien exprimiert wird, spielt eine wesentliche Rolle bei dem Überleben von AML-Zellen (Adams & Cory 2007). Die Überexpression von BCL2 wurde mit der bei AML beobachteten Chemoresistenz in Verbindung gebracht (Pan et al. 2014). Venetoclax (Venclexta®, AbbVie Inc.) ist ein hochselektiver oraler BCL2-Inhibitor, der Aktivität in BCL2-abhängigen Leukämie- und Lymphomzelllinien gezeigt hat (Andreeff et al. 1999, Pan et al. 2014, Souers et al. 2013, Vogler et al. 2013). Die BCL2-Hemmung induziert den Zelltod in Vorläufer- und Stammzellen von Patienten mit AML (Konopleva et al. 2006, Lagadinou et al. 2013).

Somit könnte die BCL2-Hemmung das Potenzial haben, chemotherapieresistente Leukämie-Stammzellen zu eliminieren, während normale hämatopoetische Stammzellen geschont werden (Konopleva et al. 2006, Lagadinou et al. 2013). Die Therapiekombinationen mit Hypomethylierenden Substanzen (HAM) und dem BCL2-Inhibitor Venetoclax zeigte in klinischen Studien deutlich höhere CR/CRi-Raten von 67% in der Gesamtheit mit den höchsten CR-Raten von 91% bei Patienten mit NPM1-mutierter Erkrankung und den niedrigsten von 47% bei Patienten mit TP53-Mutation. Das mediane Gesamtüberleben betrug 17,5 Monate (DiNardo et al. 2019). Auch die Kombination aus niedrigdosiertem Cytarabin (LDAC) und Venetoclax zeigte bereits in frühen klinischen Studien eine CR/CRi-Rate von 54% mit einem medianen OS von 10,1 Monaten (Wei et al. 2019).

In der Behandlung der akuten myeloischen Leukämie wurde Venetoclax in Kombination mit Azacytidin bereits von der FDA zugelassen, ein Antrag zur Zulassung liegt der EMA seit Sommer 2020 vor. Ganz aktuell wurde publiziert, dass möglicherweise eine zusätzliche Mutation, entweder im IDH1 (nicht jedoch IDH2), NPM1 und SRSF2 Gen, mit einem zusätzlich verbesserten Ansprechen auf diese Kombinationstherapie assoziiert sein könnte (Chua et al. 2020).

Die fortgeschrittene klinische Entwicklung des BCL2-Inhibitors Venetoclax, des IDH1-Inhibitors Ivosidenib, der selektiven FLT3-Inhibitoren Quizartinib und Gilteritinib, des Hedgehog-Inhibitors Glasdegib, des MDM2-Inhibitors Idasanutlin, des oralen Azacitidin, des Histon-Deacetylase-Hemmers Pracinostat und der hypomethylierenden Substanz Guadecitabin geben Grund zur Hoffnung, dass die therapeutischen Möglichkeiten und damit auch die verbesserten Heilungsaussichten der AML in der nahen Zukunft noch deutlich zunehmen werden.

Die Autorin

»Sie haben Fragen zum Artikel oder wünschen weitere Informationen? Schreiben Sie mir gerne eine E-Mail.«

Dr. med. Adriane Koppelle

Internistin, Hämatologin und Onkologin

T: +49 89 99017-260