WGS und WTS vereinen die diagnostischen Disziplinen der Chromosomenbänderungsanalyse (CBA), der Fluoreszenz in situ Hybridisierung (FISH) und der Molekulargenetik. Wie auch die CBA erlauben WGS und WTS genomweite Einblicke – aber mit einer basengenauen Auflösung. Wie die bereits vorgestellte Studie von Nadarajah et al. unterstreicht, ist die genetische Charakterisierung durch die genomweiten Methoden so umfassend, dass sie bereits heute, unterstützt durch KI, eine Klassifizierung von Krankheiten ermöglicht. Gleichzeitig verbessert die Forschung an genomweiten Daten unser Wissen um pathogenetische Mechanismen.
So ist beispielsweise für verschiedene Neoplasien ein prognostisch negativer Einfluss von TP53-Aberrationen (durch Mutationen, Deletionen bzw. CN-LOH) beschrieben und validiert. In einer großen Kohorte von 4.646 PatientInnen untersuchten Stengel et al. systematisch die Frequenz und Zusammensetzung von TP53-Veränderungen sowie deren klinischen Einfluss über 29 Neoplasien hinweg. Diese wurden bei 13% detektiert, wobei sich eine generelle Assoziation zwischen lymphatischen Entitäten und TP53-Aberrationen zeigte. Für die gesamte Kohorte war zudem ein klarer Zusammenhang zwischen TP53-Veränderungen und einem komplexen Karyotyp nachweisbar. Für HGBL, MZL und T-NHL beeinflusste eine TP53-Aberration das Gesamtüberleben nicht. Bei PatientInnen mit MCL und MPAL bestand ein negativ prognostischer Einfluss, dieser war jedoch unabhängig davon, ob ein oder beide Allele („double hit“) betroffen waren. Für die verbleibenden Entitäten verkürzte die Anwesenheit einer TP53-Veränderung das Gesamtüberleben, dieser Effekt verstärkte sich für Fälle mit double hit. Einen interessanten Einblick in die biologischen Konsequenzen von TP53-Mutationen liefert die Studie von Wahida et al. Hierfür wurde die Telomerlänge und die Telomeraseaktivität mittels WGS bzw. WTS bei PatientInnen mit AML, MDS und PNH untersucht und mit Daten gesunder Probanden verglichen. Aufgrund des hohen Replikationsstresses, dem stark proliferierende Tumorzellen ausgesetzt sind, stellen stark verkürzte Telomere i.d.R. ein Krebs-Charakteristikum dar. Entgegen dieser Erwartung wurden in einer Untergruppe der AML-Kohorte verlängerte Telomere gefunden und eine Assoziation zu TP53-Mutationen festgestellt. Ferner bestand eine Korrelation zwischen Telomerlänge und TP53-Mutationslast sowie Telomeraseaktivität und TP53 mRNA-Level.
Eine diagnostische Lücke könnte durch WGS geschlossen werden. Mikrodeletionen können bislang weder über Sequenzierung noch mittels Chromosomenanalyse detektiert werden, einzig der Einsatz von FISH-Sonden erlaubt ihre gezielte Detektion, aber kein umfassendes Screening. Dass sich dies mittels WGS realisieren lässt, zeigt der Abstract von Baer et al., für den verschiedene myeloische Entitäten auf Mikrodeletionen hin untersucht wurden. RUNX1 und TET2 waren hiervon am häufigsten betroffen. Weitere Deletionsmutationen wurden hauptsächlich für Gene nachgewiesen, für die auch ein loss-of-function Profil aus den myeloischen Neoplasien bekannt ist. Mikrodeletionen stellen so neben Mutationen einen weiteren Mechanismus dar, wie es zum funktionellen Genverlust kommen kann.
Lassen sich WGS und WTS aber an dem bisherigen Goldstandard messen und somit auch in der Routine einsetzen? Die Abstracts von Haferlach, C. et al., Truger et al. und Hörmann et al. geben für ein Spektrum verschiedener Entitäten eine eindeutige Antwort. Für akute Leukämien und das multiple Myelom zeigt sich eine hohe Übereinstimmung zwischen Befunden aus der Routinediagnostik und WGS/WTS. Mittels genomweiter Methoden nicht detektierte Veränderungen waren in der überwiegenden Mehrheit auf geringe Klongrößen bzw. geringe Mutationslast rückführbar. Darüber hinaus sind Vervielfältigungen des gesamten Chromosomensatzes (z.B. Tetraploidie) mittels WGS nicht abbildbar. Dem gegenüber stehen die Vorteile der genomweiten Methoden. Im Falle der ALL beginnen diese bereits in der Probenaufarbeitung - während die geringe in vitro Proliferation der ALL-Zellen einen limitierenden Faktor für die Zytogenetik darstellt, genügen für WGS und WTS aufgereinigte Nukleinsäuren. Darüber hinaus lassen sich mittels WTS die ALL-Subtypen der Philadelphia-like ALL und der ALL mit DUX4-Rearrangement leicht identifizieren, aber mit dem bisherigen Goldstandard nur schwer abbilden. Gleichzeitig konnten über WGS/WTS seltene und zytogenetisch kryptische Rearrangements sowie zahlreiche chromosomale Veränderungen zusätzlich detektiert werden. Nicht zuletzt ermöglicht WGS durch die Information über den Mutationsstatus auch die Suche nach Diagnose-, Prognose- und Therapie-relevanten molekulargenetischen Markern. Für die Mastozytose konnte die charakteristische KIT D816V Mutation mittels WGS nur bei 21% der PatientInnen nachgewiesen werden, auch hier ist die generell geringe Mutationslast als Ursache zu vermuten. Auch für das Beispiel der Mastozytose lag jedoch der klare Vorteil der genomweiten Methoden in der umfassenden genetischen Charakterisierung, für 46% der PatientInnen konnte mindestens eine nicht-KIT-Mutation detektiert werden und für 21% zytogenetische Aberrationen. Die detektierten Veränderungen nahmen Einfluss auf die Prognose, das kürzeste Gesamtüberleben zeigten PatientInnen mit nicht-KIT-Mutation und chromosomaler Veränderung. Lag lediglich ein Aberrationstyp (Mutation oder chromosomale Veränderung) vor, war das Überleben jedoch gegenüber PatientInnen ohne Aberrationen bereits verringert.